Ewig Dein
praktisch schon zur Familie.« Judith: »Es ist alles irre schnell gegangen. Wahnsinn!« Ali: »Du bist anders, wenn du mit ihm zusammen bist.« Judith: »Wie anders?« Ali: »Irgendwie nur noch so – halb.« Judith: »Das klingt ja fürchterlich.« Ali: »Na ja, wenn du ihn liebst.« Judith schwieg, es entstand eine Pause. Ali: »Liebst du ihn?« Judith: »Ich weiß nicht.« Ali: »Weiß man es nicht immer, wenn man liebt?«
8.
Vor dem letzten Teil der Heimfahrt hatte sich Judith gefürchtet. Mama war bereits abgeliefert. Hannes hatte ihr die Reisetasche bis zur Wohnungstür getragen. Daheim füllte sie sicher gleich die ersten Adoptionsformulare aus.
»Du, Hannes?« – Judith musste es ihm jetzt beibringen: Sie wollte den Abend und die Nacht heute nicht mit ihm verbringen. Mehr noch: Sie benötigte dringend ein paar Tage für sich. »Für sich« war gleichbedeutend mit »ohne ihn«. Sie wollte sich wieder »ganz« fühlen, musste ihre zweite Hälfte zurückgewinnen. Ohne zweite Hälfte war ein Zusammensein mit Hannes undenkbar.
Er unterbrach sie: »Liebling, ich habe mir die schlechte Nachricht bis zum Schluss aufgehoben. Ich habe es einfach hinausgeschoben, es war so schön heute, so harmonisch, so, wie ich es mir gewünscht hatte. Du hast so eine traumhafte Familie. Und deine Freunde. Und die Kinder.« Er wirkte zerknirscht.
Judith: »Was für eine schlechte Nachricht?« Hannes: »Wir werden uns jetzt eine Woche nicht sehen können.« Judith: »Eine Woche?« Ihre Konzentration auf die Fahrbahn ließ zum Glück keine emotionellen Gesten zu. Hannes: »Ja, ich weiß, es ist schrecklich, kaum auszuhalten, aber …« Und dann erklärte er, warum das Architekturseminar in Leipzig ohne ihn nicht stattfinden konnte. »Ja, das verstehe ich«, sagte Judith. »Da musst du hin, da gibt es kein Wenn und kein Aber.« Sie bemühte sich, dabei ernst und tapfer dreinzuschauen.
»Vielleicht ist es für uns auch gar nicht so schlecht«, sagte er. Sie sah zu ihm hinüber. Da war kein Zynismus zu erkennen. Judith: »Was meinst du?« Hannes: »Ein bisschen Abstand. Um die Dinge zu ordnen. Damit wir die Sehnsucht wieder spüren.« Judith: »Ja, Hannes, das hat was!« Es fiel ihr schwer, ihre Freude zu verbergen. Hannes: »Auch die größte Liebe braucht Luft, um sich zu entfalten.« Judith: »Ja, Hannes. Ein kluger Satz, ein sehr kluger Satz.« Dafür musste sie ihn augenblicklich küssen. Sie fuhr nach rechts auf einen Parkplatz zu.
»Aber heute Nacht schläfst du noch einmal bei mir«, sagte sie. »Wenn ich darf«, erwiderte er. Seine Sonnenfalten lächelten. Judith: »Du darfst nicht, du musst.«
Phase vier
1.
Judith konnte ihre zweite Hälfte dabei beobachten, wie sie rasch wieder in ihre erste hineinschlüpfte. Gemeinsam verkauften sie wie am Fließband teure Lampen, schwitzten in der Mittagspause bei Step-Aerobik, stöberten nach Dienst in Buchgeschäften und Boutiquen, waren sich am Abend nicht zu blöde für James Bond und »Deutschland sucht den Superstar«, ernährten sich von Pizza und Döner, stießen mit Chianti aufeinander an und waren mit sich im Reinen, mit sich und ihrer ausgeglichenen Besitzerin.
Judith wunderte sich zwar, dass sich Hannes schon den dritten Tag nicht gemeldet hatte, aber keine ihrer beiden Hälften konnte behaupten, dass ihr die konsequente Auszeit mit ihm unangenehm war. Nur wenn sie bereits unter der Decke lag, die Augen schloss und intensiv in sich hineinfühlte, dann huschte ihr da so etwas Flaues vom Magen in den Kopf, wieder zurück und weiter bis in die plötzlich ungewärmten Zehen. Wahrscheinlich war es noch zu schwach, um Sehnsucht genannt zu werden, aber es hatte ja noch ein paar Tage Zeit zu wachsen.
Am Mittwoch musste Judith ein ernstes Wort mit ihrem Lehrmädchen reden. »Bianca, ich gratuliere Ihnen zwar zu Ihrer respektablen Oberweite« sagte sie, »aber wir sind hier nur ein Lampengeschäft, Sie können ruhig einen BH verwenden.« – »Ja, Frau Chefin, aber bitte, es ist volle heiß hier«, erwiderte Bianca gelangweilt. – Judith: »Glauben Sie mir, Sie machen sich viel interessanter, wenn Sie nicht gleich alles offen zur Schau stellen.« Bianca: »Da kennen Sie aber die Männer schlecht.« Apropos Männer. – »Frau Chefin, warum kommt Ihr Freund eigentlich nicht mehr zu uns herein?« Judith: »Er ist auf Dienstreise, in Leipzig.« Bianca: »Aber heute früh war er da.« Judith: »Nein, Mädel, das kann nicht sein, Leipzig befindet sich nämlich in Deutschland.«
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