Ewig Dein
kein Architekturseminar. Er hatte bemerkt, dass ihre Liebe nicht so schnell wuchs wie seine. Er wollte ihr eine Pause gönnen, damit sie aufholen konnte (als funktionierte Liebe nach den Regeln eines Wettrennens). Es traf sich gut, sagte er, er hatte ohnehin einiges zu erledigen. Er schmunzelte. Sie würde schon bald mehr dazu erfahren.
»Hannes, das geht so nicht weiter mit uns«, sagte sie. »Ich verstehe dich«, sagte er, »du bist beleidigt wegen gestern. Ja, es war dumm von mir. Ich hätte dich vorher anrufen sollen. Ich habe dich auf dem falschen Fuß erwischt.« – »Nein Hannes, es ist mehr als das«, sagte sie. »Ich bin für eine so intensive Beziehung …« – »Bitte sprich nicht weiter!« Der Schulbub war weg. Jetzt war Hannes dessen genervter, streng autoritärer Vater. »Ich habe dich verstanden, ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht, es wird nicht wieder vorkommen. Sehnsucht! Weißt du, was Sehnsucht bedeutet? Soll ich buchstabieren? S, E, H, N, S, U, C, H, T. Sehnsucht. Ich hatte Sehnsucht nach dir. Ist das ein Verbrechen?«
Als er bemerkte, dass Judith auf seine geballte Faust sah, öffnete er sie sofort. Er lächelte wie auf Befehl sanft, versuchte vergeblich, Sonnenfältchen entstehen zu lassen. Er streckte seinen Arm nach ihr aus. Sie lehnte sich zurück. »Du wirst sehen, Liebling, alles wird wieder gut«, sagte er. Sie verlangte nach der Rechnung. »Das geht auf mich«, konterte Hannes.
4.
»Frau Chefin, Telefon«, rief Bianca wenige Stunden später vom Verkaufsraum aus ins Büro, wo Judith gerade versuchte, ihre Gedankensplitter einzusammeln, ohne sich dabei zusätzlich zu verletzen. »Ich bin für niemanden zu sprechen, ich bin beschäftigt«, rief sie zurück. Ihr Herz war seit den schweren Schockschlägen im Stiegenhaus nicht wieder zum gewohnten Tempo zurückgekehrt. Bianca: »Es ist Ihr Bruder Ali.« Judith: »Ah so, Ali, den können Sie mir herüberverbinden.«
Ali sprach doppelt so schnell und laut wie sonst. Ja, er sprudelte förmlich – sofern stehende Gewässer sprudeln konnten. »Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll«, sagte er. Judith wusste es ebenfalls nicht. Zudem wusste sie nicht, wofür. Ali: »Es ist schon schön, so eine Schwester zu haben, die für einen da ist, wenn man in einer Notlage ist.« Judith: »Ja, doch. Wieso?« Ali: »Dass du Hannes dazu gebracht hast. Hedi ist so glücklich. Und du wirst sehen, ich brauche bald überhaupt keine Medikamente mehr.« So, jetzt reichte es dann: »Ali, Klartext! Wozu habe ich Hannes gebracht?« Ali: »Sag bloß, du weißt nichts davon.«
Was sich nun herausstellte: Bereits am Tag nach ihrem Besuch hatte Hannes ihn angerufen und ihm diesen Traumjob angeboten. Ali hätte nichts weiter zu tun, als Apotheken und Drogerien zu fotografieren, zunächst nur in oberösterreichischen Gemeinden, später dann auch in anderen Bundesländern. Tags darauf hatte ihn Hannes abgeholt, sie waren nach Schwanenstadt gefahren, um das erste Projekt zu besichtigten. Hannes hatte erklärt, was ihm bei den Bildern, allesamt nur Außenaufnahmen der Gebäude, wichtig war. Danach hatten sie einen Pauschalvertrag für ein halbes Jahr aufgesetzt. »Tausend Euro monatlich und sämtliche Spesen für ein paar simple Fotos, das ist ein Wahnsinn!«, schwärmte Ali. Judith brachte kein Wort heraus.
»Ich schäme mich, dass ich ihn so unterschätzt habe«, sagte der Bruder. »Solche Menschen sind besser als alle Therapeuten, die nur ihr Geschäft mit den Lebenskrisen anderer machen.« Nicht jene, die studierten, um einem dann zu sagen, dass man dringend eine Arbeit bräuchte, halfen einem, sondern jene, die einem die Arbeit tatsächlich verschafften. »Ja«, sagte Judith. Ihre Kehle war ausgetrocknet und gab keinen Ton mehr her. Ali: »Hannes hört nicht nur zu, er tut auch etwas. Einmal werde ich es ihm zurückgeben, das verspreche ich dir.« Judith: »Ja.« Ali: »Und du hast das Ganze eingefädelt, ich danke dir, liebe Schwester.«
Sie biss sich in die Lippen. Durfte sie ihn in seiner Euphorie bremsen? Durfte sie ihm den Job ausreden? Mit welchen Argumenten? Mit ihrem Bauchgefühl? – »Ich freue mich für dich, Ali«, sagte sie. »Und bei nächster Gelegenheit möchte ich gerne mit dir reden. Ich muss dir etwas erklären, etwas Wichtiges. Ich hoffe, du wirst mich verstehen. Aber das geht nicht am Telefon.«
5.
An den nächsten Tagen überraschte er sie mit Zurückhaltung, und das war gut so. Judith fühlte sich nicht oder zumindest
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