Ewig Dein
denen sie ihn, das musste sie zugeben, mit Bangen herbeigesehnt hatte. »Noch sechs Minuten, und ich wäre gegangen«, log sie. Er lächelte sanft. Wäre er nicht der Apothekenbauer Hannes Bergtaler gewesen, hätte man sogar sagen können, er lächelte souverän.
Sie wollte ihn im schönsten Licht sehen und hatte einen Fenstertisch an der Westseite gewählt, der noch vom Abendrot berührt wurde. Das tat seinen Sonnenfältchen gut. Und Omas Zähne legten sich, wenn er lachte, wie eine blütenweiße Hängematte von einem Ohr zum anderen. Leider fehlte der Fotoapparat. So hätte sie ihn gerne für immer in Erinnerung behalten.
Dass sie diesmal keinen Appetit hatte, wunderte sie. Dass er sich minutenlang in die Speisekarte vertiefte, erstaunte sie. Dass in seinen zurückgenommenen Gesten nichts, aber so gar nichts auf die stürmischen Gefühle hindeutete, mit denen er sie monatelang im Banne gehalten hatte, das begann sie erstmals zu verunsichern.
»Hat sich etwas verändert?«, fragte sie nach gut einer Stunde launigen aber belanglosen Gesprächs. (»Liebst du mich nicht mehr?«, hatte sie zum Glück dann doch nicht über die Lippen gebracht.) »Ja«, erwiderte er, »meine Einstellung hat sich geändert.« Es war der gleiche Ton, in dem er zuvor »Als Nachspeise empfehle ich dir das Erdbeer-Maroni-Törtchen« gesagt hatte.
Hannes: »Ich will vorsichtig sein. Ich will, dass du dich bei mir wohlfühlst. Ich will dich mit meiner Liebe nie mehr bedrängen.« Judith: »Das ist schon gut so, und das weiß ich auch sehr zu schätzen, mein Lieber.« Sie griff nach seiner Hand, er zog seine zurück. Hannes: »Aber?« Judith: »Kein Aber.« Hannes: »Doch, ich merke es, da ist ein Aber.« Judith: »Aber du musst deswegen nicht vollständig darauf verzichten, mir zu zeigen, dass ich dir etwas bedeute.« Hannes: »Ich kann es nur so oder so.« Judith: »Das ist zwar ehrlich, aber, ehrlich, es ist nicht gut. Wie war das in deinen früheren Beziehungen?« Hannes: »Darüber will ich nicht reden. Was vergangen ist, ist vergangen.« Die Sonne war auch bereits untergegangen. »Wollen wir gehen?«, fragte er. »Gute Idee«, sagte sie.
8.
Eigentlich hätte sie ihn schon auf dem Nachhauseweg gerne geküsst, sie konnte es, offen gestanden, kaum erwarten, aber sein Schritt war so gleichmäßig und zielgerichtet, dass sie ihn nicht stoppen und aus dem Rhythmus bringen wollte. Als sie das Haustor öffnete, blieb er unvermutet stehen und sagte: »So.« Judith: »Was, so?« Hannes: »Ich werde mich hier verabschieden.« Judith: »Wie bitte?« Hannes: »Ich komme nicht mehr mit.« Judith: »Warum nicht?« Sie hatte große Mühe, ihre Enttäuschung zu überspielen. Hannes: »Ich glaube, es ist besser so.« Noch nie war etwas tatsächlich besser so gewesen, wenn jemand diese ekelige Floskel verwendete, dachte sie.
Judith: »Und wenn ich aber unbedingt mit dir schlafen will?« Hannes: »Dann freut mich das.« Judith: »Aber es erregt dich nicht.« Hannes: »Doch, das tut es.« Judith: »Aber?« Hannes: »Kein Aber.« Judith: »Doch, ich merke es, da ist ein Aber.« Hannes: »Aber Erregung ist nicht alles.« Judith: »Okay, Hannes, einmal probiere ich es noch: Ich wünsche mir, dass du diese Nacht mit mir verbringst. Ich wünsche es mir sehr, sehr, sehr!« Hannes: »Das ist schön.« Judith: »Aber?« Hannes: »Aber ich will nicht nur einzelne Nächte mit dir verbringen.« Judith: »Sondern?« Hannes: »Ein ganzes Leben!« Die Pause danach war notwendig.
Judith: »Ah, guten Abend, Herr Bergtaler, ich hätte Sie heute fast nicht wiedererkannt.« Er schwieg. Judith: »Im Übrigen wird es schwer sein, ein ganzes Leben mit einer Frau zu verbringen, mit der man keine einzelnen Nächte verbracht hat. Zuerst die Nächte, dann das Leben. Darum noch eine letzte Zugabe zu meiner Frage: Kommst du mit?« Er schwieg. Sie betrat langsam den Hausflur und machte sich daran, die Tür zu schließen. Er blieb stehen. »Gute Nacht!«, warf sie ihm spitz durch den Türspalt zu. »Mein Gute-Nacht-Gruß befindet sich in deiner Umhängetasche, Liebling!«, rief er ihr nach.
Einige rastlose Stunden im Bett gelang es ihr, den Fremdkörper in ihrer Tasche zu ignorieren – von einer Serviette mit der Aufschrift »Schlaf gut!« oder »Ich liebe Dich« bis zu einem Zwillingsbruder des hässlichen Bernsteinringes traute sie Hannes jede Geste zu. Gegen drei Uhr früh sah sie nach, um endlich einschlafen zu können. Der Gute-Nacht-Gruß sollte sie freilich weitere
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