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Ewig Dein

Ewig Dein

Titel: Ewig Dein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Glattauer
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dazwischen? Warum lächelte er sie so gütig an? Judith: »Hannes, ich … es tut mir so leid.« Er zerdrückte mit der Daumenkuppe eine Träne auf ihrem Nasenrücken. Sie beschloss, dass es ihre letzte war.
    »Du bist so ein wunderbarer Mensch«, sagte sie. »Du hast dir eine ganz andere Frau verdient, eine, die sich ihrer Gefühle sicher ist, eine, die dir das zurückgeben kann, was du ihr gibst, eine, die …« – Kein Wunder, dass er kaum noch zuhörte. Er zog aus seiner großen schmalen Mappe ein Blatt Papier heraus und legte es auf den Tisch. »Hast du’s bemerkt?«, fragte er spitzbübisch, viel zu gut aufgelegt für die Situation. In einem Café an der Seufzerbrücke waren sie in seinem Auftrag von einem Straßenkünstler gezeichnet worden. Deshalb also hatte er seine Wange dort minutenlang an ihre gepresst. Sein Gesicht war ganz gut getroffen, aber ihr eigenes verklärtes war ihr fremd. Wie sollte ein Zeichner in Venedig auch erahnen können, wie sie aussah, wenn sie verliebt war.
    »Hannes, es ist besser, wenn wir uns jetzt eine Zeitlang …« – »Ja klar«, unterbrach er, »du kannst die Zeichnung gerne behalten, als kleine Erinnerung.« – »Danke«, sagte sie. Sie war irritiert. Das konnte eher noch nicht der Abschied gewesen sein. Hannes: »Vielleicht haben wir zu viel in Venedig hineingepackt.« Judith: »Nein, nein. Es war perfekt so, wie es war. Ich werde es in schöner Erinnerung behalten, das verspreche ich.« (Sie konnte ihre Schande bis in die Schläfen spüren. Solche Sätze hätte nicht einmal ihr Vater ihrer Mutter angetan.)
    »Hasst du mich jetzt?«, fragte sie, in der Hoffnung auf ein sattes Ja , am Höhepunkt ihrer Verlegenheit. Sie konnte nicht verhindern, dass er ihre Hand nahm und sie zu seinem Mund führte. Wenn man jemanden verließ, musste man sich das alles gefallen lassen. Hannes: »Dich hassen?« Er lächelte. »Liebling, du weißt nicht, was du redest.« Schlimmer noch, befürchtete sie: Er wusste nicht, wovon sie sprach. Und er sollte überdies langsam damit aufhören, sie Liebling zu nennen, dachte sie.
    »Na dann«, sagte sie, als die Pause unerträglich lang geworden war. »Na dann«, sagte er, als schrie diese gute Pointe danach, wiederholt zu werden. Auf der Zunge lag ihr: »Wir werden uns sicher wieder einmal über den Weg laufen.« Doch sie legte noch eine schmerzstillende Dosis Zweckoptimismus darüber und wählte: »Wir werden uns bestimmt nicht aus den Augen verlieren.« Jetzt lachte er mit seiner gesamten Weißzahnpalette: »Nein, das werden wir bestimmt nicht.« Sie stand auf und wandte sich, um einen dramatischen Abschiedskuss zu verhindern, sofort dem Ausgang zu. »Das werden wir bestimmt nicht, Liebling«, rief er ihr nach.
     
2.
    Am Abend beschwor sie alle guten und bösen Satelliten der Television, mit Unterstützung von ein paar Gläsern Rotwein ihr Gehirn zu versülzen. Sie fühlte sich nicht in der Lage, Menschen zu sehen oder gar Freunde zu treffen, um ihnen von ihrem professionell durchgezogenen Scheitern zu berichten. Sie wusste nur so viel, und das behielt sie gerne für sich: Hannes war für sie der letzte Mann, mit dem sie es probiert hatte, ohne ihn so sehr zu lieben, dass sie sich ihrer Fähigkeit sicher sein konnte, ihn dauerhaft neben sich zu ertragen. Noch einmal würde sie sich und einem anderen so einen demütigenden Rückzug nicht mehr zumuten.
    Gegen zehn Uhr wurde sie von ihrem Handy-Fünfton aus einer dieser Soap-Serien mit aufgezeichneten Lachsalven gerissen. Hannes schrieb: »Darf ich dir ein SMS schicken, wenn es mir nicht gutgeht?« – »Natürlich, wann immer«, sandte sie ihm zurück, gepeinigt von ihrem schlechten Gewissen und dankbar über seinen dezenten Versuch der Frustbewältigung. Danach schaltete sie das Handy ab.
    In der Nacht wachte sie mehrmals auf und überzeugte sich davon, dass er nicht neben ihr lag. Schließlich resignierte sie, drehte alle Lichtschalter an, setzte sich gegen allfällige Geräusche aus dem Stiegenhaus den Kopfhörer auf, beschwichtigte ihren Sehsinn mit Anfangsbuchstaben aus dem neuen T.C. Boyle und wartete, bis der Radiowecker sie erlöste.
    In der Früh zwang sie sich zu Eile und Geschäftigkeit. Als sie das Haustor hinter sich schloss – hätte sie sich nur nicht umgedreht! –, sprang ihr der auf der Klinke hängende Plastiksack mit der Aufschrift »FÜR MEINE JUDITH« ins Auge. Darin befanden sich drei in Papier gehüllte gelbe Rosen, dazu der kryptische Hinweis »WAS HABEN DIESE …« und

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