Ewig Dein
für sie, und sie ließ ihn einfach im Regen stehen, mitsamt seinen gelben Rosensträußen.
Mit jedem Tag ohne »Zwischenfall« wuchs freilich auch ihr Mitleid. Seine Situation war wohl noch beschissener als ihre. Für sie war er bloß ein schmerzlicher »Fehlversuch«, der personifizierte Beweis, dass heiß geliebt zu werden nicht ausreichte, um Gegenliebe zu erzeugen. Peinlich, dass sie mit ihrer Lebenserfahrung in so eine simple Falle getappt war. Er aber musste erst einmal damit fertigwerden, von jener Frau zurückgewiesen worden zu sein, die er in den Mittelpunkt des Universums gerückt und ins Visier seiner Sehnsüchte genommen hatte. Sie verwünschte sich dafür, ihm so lange dabei zugesehen zu haben.
Und wer war jetzt für ihn da? Freunde dürfte er kaum welche haben, nie hatte er von solchen erzählt. Frühere Beziehungen? – Sein Vorleben hatte er wie ein Geheimnis gehütet. Zu seiner jüngeren Stiefschwester und ihrer Familie hatte er keinen Kontakt. Sein leiblicher Vater war gestorben, als er noch ein Kind war. Mutter und Stiefvater lebten in Graz. Über die hatte er sich nur kühl und wortkarg geäußert. Blieben also einzig seine zwei blassen, konturlosen Bürokolleginnen?
Nach acht Tagen, zur Mittagszeit, rief sie ihn vom Büro aus an und wagte, persönlicher schaffte sie es nicht: »Wie geht es dir?« Hannes: »Danke, Judith, ich komme so halbwegs mit allem zurecht.« Die Anrede (erstmals Judith statt Liebling), die Stimmlage, die Stimmungslage, die Formulierung, der Inhalt – seine Antwort beruhigte sie in jeder Hinsicht. »Ich versuche mich mit meiner Arbeit abzulenken«, sagte er. »Wir haben ein paar größere Aufträge hereinbekommen.« – »Wir«, und sie war kein Teil davon, das hörte sich gut an, fand sie. Arbeit, Aufträge, ablenken – drei wichtige Wörter mit »A«.
»Und du, Judith?« – Sie: »Ach ja, es geht so.« Er: »Bist du viel unterwegs?« Sie: »Nein, nein, eher nicht, eher mehr daheim. Ich brauche, wie gesagt, ich brauche Ruhe und Abstand zu … äh … zu allem. Ich muss erst wieder zu mir finden.« Er: »Klar, das verstehe ich. Ist ja auch für dich nicht so einfach.« Sie: »Nein, das ist es nicht.« (Langsam musste sie aus diesem phänomenal aussagekräftigen Gespräch herausfinden, bevor es in den Trübsinn kippte.)
Er: »Und wie wirst du übermorgen deinen Geburtstag feiern?« Damit überfiel er sie, das kam zu plötzlich daher, sie hatte den Termin bisher erfolgreich weggeschoben, er hatte ihn vermutlich mit einem dicken Herz im Kalender eingerahmt. Er: »Mit der Familie?« »Ich … ich hab noch keine Ahnung, ich werde das spontan entscheiden«, log sie. Er: »Solltest du sie sehen, so lasse sie herzlich von mir grüßen.« »Das mache ich. Danke, Hannes.« Ihr Dank galt seinem schönen, förmlichen, respektvoll distanzierten Gruß.
Er: »So, ich werde dann wieder.« Phantastisch. Sie: »Ja, ich muss ebenfalls.« Sie: »Also dann.« Er: »Ach, eines noch, Judith. Hast du das Rätsel gelöst?« Sie: »Welches Rätsel?« Er: »Das Rätsel der Rosen. Was haben sie gemeinsam? Bist du dahintergekommen. Es ist ein leichtes Rätsel.« Seine Stimme hatte wieder den verklärten Klang angenommen. Das Gespräch musste sofort zu Ende gehen. »Alle Rosen sind gelb«, sagte sie angeödet und hastig. Er: »Du enttäuschst mich, so einfach ist es nun auch wieder nicht. Du musst noch einmal nachsehen, versprich mir, dass du noch einmal nachsiehst. Du hast sie doch noch alle. Sie sind doch noch nicht verwelkt, Liebling?« – Darauf wollte sie keine Antwort wissen. »Liebling« musste das Schlusswort bleiben.
8.
Am dritten Julisamstag, an dem eine Kaltfront eingetroffen war, wurde sie alleinstehende siebenunddreißig – noch dazu »daheim« bei ihrer Mama. Ali war angereist, Hedi, höchst schwanger, an seiner Seite. Wahrscheinlich plante das Baby, gleichzeitig mit Judith Geburtstag zu feiern.
Schon die Begrüßung war sonderbar zeremoniell. Mama sah man in freudiger Weise aufgeregt wie schon seit Jahren nicht. Ali war beinahe nicht mehr als ihr Bruder zu identifizieren. Er hatte sich rasiert, trug ein gebügeltes weißes Hemd und lächelte grundlos, als hielte er das Leben als solches plötzlich für lustig. Man konnte den Eindruck gewinnen, es stehe ein ganz und gar außergewöhnliches Ereignis bevor.
»Hannes ist leider verhindert«, sagte Judith, erstaunt, dass nicht gleich jeder danach gefragt hatte – und nicht minder erstaunt, als danach jede Reaktion
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