Ewig Dein
angerufen. Hannes hatte sich mit Vater getroffen. Hannes, der Architekt, der Lebensgefährte seiner Tochter, der Arbeitgeber seines Sohnes, Hannes wollte der »Liebe seines Lebens« zum Geburtstag »das Geschenk der Geschenke« bereiten, unbezahlbar, unüberbietbar, unersetzbar: Vater und Mutter. – »Mir kommen gleich die Tränen«, lag ihr auf der Zunge. Aber erstens war Ali anwesend, so anwesend wie schon lange nicht. Und zweitens war sie damit beschäftigt, ihre Wut im Zaum zu halten. An ihren zitternden Händen erkannte sie, dass nicht mehr viel zu einem heftigen Ausbruch fehlte.
Hannes, Mama und Vater – mehrere Stunden waren sie zusammengesessen. Ali war dann noch dazugekommen. Stöße von Fotoalben hatten sie durchgeblättert, alte Geschichten erzählt, in Judiths (und auch Alis) Kindheit gekramt. »So eine Familie hab ich mir immer gewünscht«, hatte er gesagt.
Und so ein »Schwiegersohn« hat ihnen offenbar immer gefehlt, wusste Judith, einer, der die Scherben alter Zeiten aufhob und zusammenkittete. Darüber dann der rosa Zuckerguss. Und schnell noch ein, zwei Enkelkinder, bevor die Tochter zu alt für Babybäuche war. Jetzt zitterten auch ihre Knie.
Sie: »Ich finde das verletzend und demütigend! Warum habt ihr nicht zuerst mit mir geredet?« Mama: »Hast du denn mit uns geredet?« Vater: »Es ist doch um dich gegangen. Es sollte eine Geburtstagsüberraschung sein. Hannes hat es so gut gemeint.« Mama: »Wir konnten ja nicht ahnen, dass du diesen Mann …« Judith: »Diesen Mann liebe ich nicht, tut mir schrecklich leid!« Pause für allgemeine Betretenheit. Ali, kleinlaut, schlichtend: »Was soll’s. Wenn sie ihn nicht liebt.« Er zuckte mit den Schultern, ehe er sie hängen ließ. Er hatte nun wieder sein trauriges Gesicht. Und sie war schuld, das verrieten Vaters, Mamas und Hedis Blicke.
»Gestern hat er mich angerufen und gesagt, dass er bei der Feier nicht dabei sein kann«, klagte Mama, knapp bevor Judith tatsächlich aufstand und ging. »Aber warum denn nicht?« – »Judith will es nicht.« – »Judith?« – »Sie hat mir den Laufpass gegeben.« – »Nein, du machst Witze!« – »Sie ist momentan nicht fähig für eine enge Bindung, sagt sie.« – »Nein!« – »Sie braucht Zeit, wir müssen ihr Zeit geben.« – »Zeit? Sie wird morgen siebenunddreißig. Wir werden mit ihr reden, ich und Vater.« – »Das müsst ihr nicht. Die Dinge werden schon von selbst wieder ins Lot kommen. Ich bin geduldig.« – »Ach Hannes, es tut mir so leid.« – »Ich wünsche euch jedenfalls eine schöne Feier.« – »Ach Hannes.« – »Und denkt ein bisschen an mich.«
Phase sechs
1.
Danach wurde es wieder still um ihn, eindringlich still. Sie hatte ihn täglich, nächtlich, stündlich vor sich, wie er seinen nächsten Auftritt vorbereitete. Diesmal wollte sie sich dagegen wappnen. Aber alleine schaffte sie es nicht. Judith, die Kämpferin, die nie jemanden gebraucht hatte, um mit Lebenskrisen und ihren Verursachern fertigzuwerden, deren größtes Problem es stets gewesen war, Probleme mit anderen zu teilen, sie hatte es plötzlich mit einem übermächtigen Gegner zu tun, mit der Ungewissheit.
Die Nächte begannen zu früh und endeten zu spät. Schlaftabletten, Judiths erste Verbündete, gaben ihre Wirkung bald auf. Es half nichts, sie musste sich mit jemandem aussprechen, ein Vertrauter musste her. Ihre Eltern und Bruder Ali schieden aus. Die hatte sie, was Hannes betraf, für die nächste Zeit abgeschrieben. Kontakt zu ihnen bedeutete Kontakt zu ihm. So leicht wollte sie es ihm nicht machen.
Große Hoffnungen setzte sie auf Gerd. Sie tarnte ihren Hilferuf mit einem Kinobesuch. Danach in der Rufus-Bar – milchiges Neonlicht, glanzlose Augen, kein Raum für Geheimnisse – sprach sie es endlich aus: »Gerd, ich habe mit Hannes Schluss gemacht, aber er will es nicht akzeptieren. Ich fühle mich verfolgt. Ich habe Angst vor ihm. Was soll ich tun?«
»Ich weiß«, sagte Gerd, »aber ich kann dich beruhigen.« – Das Gegenteil war der Fall. Sie: »Was weißt du? Spielt ihr Tennis? Seid ihr dicke Freunde? Bezahlt er dir einen Job? Hast du gelbe Rosen für mich dabei?« Er: »Judith. Was ist los mit dir? Du zitterst. Höchste Zeit, dass wir darüber reden. Ich kann dich beruhigen, meine Liebe, ich kann dich wirklich beruhigen. Hör mir zu.«
Hannes habe zwei Tage zuvor bei ihm angerufen, ganz im Vertrauen, und um einen »Ratschlag in einer sehr persönlichen Angelegenheit« gebeten. Ungefähr
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