Ewig Dein
Vielleicht ist es eine verschleppte Grippe oder sonst ein Virus.« – »Mein Virus bist du.« – »Hannes, nein, hör auf damit. Du musst mich vergessen«, erwiderte sie. Er hatte sie angesteckt, auch sie schluckte jetzt schwer.
Er: »Liebling, wir haben beide Fehler gemacht.« Sie: »Ja, ich habe den Fehler gemacht, dass ich hierhergekommen bin.« Er: »Warum sprichst du so böse? Das verletzt mich. Was habe ich dir angetan, Liebling, dass du so böse zu mir sprichst?« Sie: »Bitte, Hannes, ich flehe dich an, sag nicht mehr Liebling zu mir. Ich bin nicht dein Liebling, ich bin kein Liebling. Ich will endlich wieder mein normales Leben leben.«
»Darf ich dich erinnern, Judith.« Seine Stimme war plötzlich kräftig und mit Wut geladen. »Hier drüben sind wir gesessen.« Er zeigte auf den Tisch im Eck. »Vor dreiundzwanzig Tagen …« Er schaute auf die Uhr. »Vor dreiundzwanzig Tagen und fünfundsiebzig Minuten. Hier drüben sind wir gesessen, und du hast gesagt, du hast es wortwörtlich so gesagt, korrigiere mich, wenn du es anders gesagt hast: Ich bin momentan einfach nicht fähig für eine enge Bindung. Und ein paar Minuten später hast du gesagt: Hannes, es ist besser, wenn wir uns eine Zeitlang nicht sehen .« Er machte eine Pause. Seine Lippen rangen dem fahlen Gesicht ein Lächeln ab. »Nun, Judith, ich frage dich, wie lange dauert für dich momentan ? Und wie lange ist für dich eine Zeitlang ? Dreiundzwanzig Tage und fünfundsiebzig, nein«, er schaute auf die Uhr, »und sechsundsiebzig Minuten? Ich würde meinen, das ist wohl tausend Mal länger als momentan . Es ist nicht eine Zeitlang , es ist bereits eine halbe Ewigkeit lang. Judith, sieh mich an, sieh in meine müden Augen. Hier siehst du dreiundzwanzig Tage und sechsundsiebzig Minuten. Wie lange willst du mich noch zappeln lassen?«
Sie: »Hannes, du verkennst die Realität. Du brauchst einen Arzt, du bist krank, du bist verrückt.« Er: »Du machst mich verrückt, wenn du dieses Spiel weiter mit mir treibst. Ich hatte mir vorgenommen, geduldig zu sein, ich habe es auch deiner Mama versprochen und deinem Papa, aber manchmal, manchmal …« Er ballte die Fäuste und biss die Zähne zusammen, seine Backenknochen traten hervor und auf der Stirn konnte man die Adern zählen.
Judith war knapp davor, aufzuspringen und davonzulaufen. Aber sie dachte an Bianca und ihre »Typen, die es nicht begriffen haben«, und dass sie es wieder und wieder probieren würden, wenn man sie nicht eindeutig genug zurückwies. Sie versuchte, »volle cool« zu bleiben, und sagte, beinahe im Flüsterton: »Hannes, es tut mir leid, ich mag dich, ich mag dich wirklich, aber ich liebe dich nicht. ICH LIEBE DICH NICHT! Wir beide werden niemals ein Paar sein. Niemals, Hannes, niemals. Schau mich an, Hannes: niemals! Hör bitte sofort auf, auf mich zu warten. Und gewöhn dir langsam ab, an mich zu denken. Bitte streich mich aus deinem Leben. Ich könnte heulen, weil es so brutal klingt. Und mir tut es selber wahnsinnig weh, wenn ich mich so sprechen höre. Aber ich wiederhole es noch einmal, damit du es endlich akzeptierst: Streich mich aus deinem Leben!«
Er musterte sie und schüttelte den Kopf. Er kniff die Augen zusammen und ließ sich die Anstrengung anmerken, mit der er nachdachte. Dann lächelte er wieder, hob dabei die Schultern und senkte sie. Es schien, als wollte er ihren Worten endlich Glauben schenken, als würde dies sogar ein Akt der Befreiung für ihn sein, aber etwas in ihm wehrte sich dagegen. Judith blieb stumm und verfolgte seinen inneren Kampf mit versteinerter Miene.
»Judith«, sagte er, quasi als Ergebnis seiner Reflexion, »ich werde dich entlassen.« Wie beiläufig begann er seine Hemdsärmel aufzukrempeln. »Nach außen hin streiche ich dich, ich verspreche es dir, und ich werde dich entlassen.« Er legte seine Unterarme mit der dicht behaarten Außenseite nach oben auf den Tisch. »Aber im Inneren«, sagte er bebend, pathetisch, »im Inneren lebst du mit mir weiter.« Er drehte nun demonstrativ seine Arme um. Judith starrte mit Entsetzen darauf. Lange rote Striemen zogen sich die Innenseiten entlang, zu tief und symmetrisch, als dass es Kratzspuren einer Katze sein konnten.
»Woher sind die Verletzungen?«, fragte Judith. Das Zittern in ihrer Stimme ersetzte ihm die Heilsalbe auf den Wunden und ließ ihn gütig, geradezu verklärt lächeln. »Im Inneren sind wir beide untrennbar verbunden«, sagte er, »und jetzt bist du entlassen.«
4.
Der
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