Ewig Dein
gerne ein paar Mitbewohner gegrüßt und auf den trüben Oktober angesprochen, aber es war wie immer niemand zu sehen, und es roch wie gewohnt nach Moder, Zwiebeln und Altpapier. Beim Öffnen der Wohnungstür – das war seit Tagen der erste beklemmende Gedanke – fiel ihr Herr Schneider ein, der krebskrank verstorbene Nachbar, dessen Partezettel an ihrer Tür gehangen war.
In ihrer Wohnung, die mit Gedenkzeichen an eine grauenhafte Phase übersät war, fühlte sie sich unwohl. Mit hektischer Betriebsamkeit versuchte sie dagegen anzukämpfen, wechselte Bettwäsche, stellte Möbel um, dekorierte Wände neu, sortierte ihren Kleiderschrank aus, trennte sich sogar von zwei Paar Schuhen und kleidete sich dann kanarienvogelfarben für den wieder beginnenden Geschäftsalltag ein.
Am späten Nachmittag betrat sie ihren Lampenladen, und gleich beim Eingang, an dem sie von Bianca mit feierlicher Geste empfangen wurde, fiel ihr die Veränderung auf: Das Licht war anders, matter, gedämpfter, es fehlte der eigentümliche Glanz. Der Luster war weg, der monströse ovale Kristallluster aus Barcelona, den fünfzehn Jahre lang jeder bewundert, aber keiner mitgenommen hatte, Judiths Juwel unter den Lampen, ihr teuerstes Stück.
»Verkauft!«, sagte Bianca. Sie stand militärisch stramm da und klopfte sich auf die Brust. »Wahnsinn«, brachte Judith gerade noch heraus. Bianca: »7580 Euro, Frau Chefin. Freuen Sie sich nicht?« Judith: »Doch, klar, natürlich, und wie! Ich bin nur … ich muss mich erst …« Sie setzte sich auf die Stufe. »Wer?«, fragte sie. Bianca zuckte mit den Schultern: »Keine Ahnung.« – Judith: »Was heißt das?«
Bianca: »Das heißt, dass ich nicht sagen kann, wer ihn gekauft hat, weil diejenige Frau nämlich gar nicht da war, weil am Montag, oder war es am Dienstag, nein, ich glaube, es war am Montag … oder war es am Dienstag?« Judith: »Egal!« Bianca: »Da hat ein Mann angerufen von einem Büro Soundso, und der hat gesagt, dass die Frau Dingsda einen Luster kaufen will, den sie bei uns im Geschäft gesehen hat. Und der Mann, der angerufen hat, der hat den Luster dann eindeutig beschrieben, dass ich gleich gewusst habe, das kann nur der Riesenluster aus Barcelona sein, wo das Kristall so schön knistert. Und dann hab ich natürlich gesagt, was er kostet. Und dem Mann ist dabei aber gar nicht alles heruntergefallen, sondern er hat gesagt, dass der Preis volle okay geht, weil die Frau den Luster unbedingt haben will, und dass wir ihn gleich abhängen und verpacken können, und dass jemand kommen wird und ihn abholen wird. Und am Freitag … oder war es doch schon am Donnerstag?« Judith: »Egal!«
»Jedenfalls haben sie ihn dann wirklich abgeholt, und alles bezahlt, gleich cash, bar auf die Hand!« Judith: »Wer?« – Bianca: »Die von der Botenfirma. Zwei junge Männer waren es, aber leider keine hübschen.« Pause. »Freuen Sie sich nicht?«, fragte Bianca. – »Doch, freilich, das war nur so überraschend, dass ich erst …« Bianca: »Ich verstehe Sie schon, der Luster ist zehnmal so alt wie ich und der hängt ewig da, da hängt man dann umgekehrt natürlich auch an ihm, oder? Aber bei 7580 Euro …« – Judith: »Und du weißt nicht, wer die Käufer sind?« Bianca: »Na ja, Chefin, ich war natürlich auch neugierig, und da hab ich den einen von den jungen Männern, den größeren von den beiden, so einer mit halblangen blonden …« Judith: »Egal!« Bianca: »Ich hab ihn gefragt, wo sie den Luster hinliefern. Der hat gesagt, das weiß er selbst noch gar nicht, weil er erst den Mann von der Firma anrufen muss, das heißt, den hat er eh schon öfter angerufen, aber er hat ihn noch nicht erreicht, also hat er es noch nicht gewusst.« Judith: »Aha.«
Bianca: »Aber ich hab natürlich weitergebohrt und hab gefragt, auf welchen Namen der Luster lautet, also wie die Frau heißt, die ihn gekauft hat.« Judith: »Und?« – »Da hat der eine junge Mann, also der andere, gesagt, dass sie das eigentlich überhaupt nicht sagen dürfen, weil die Käufer oft anonym bleiben wollen, weil die Frau vielleicht eine reiche Kunstsammlerin ist, vielleicht hat sie auch schon einen Picasso daheim, da will man dann nicht …« Judith: »Ich verstehe schon.«
Bianca: »Aber er hat mir den Namen trotzdem verraten, wahrscheinlich wollte er sich wichtigmachen oder mich angraben, obwohl, wäääh, bitte, der war urhässlich.« Sie schnitt eine Grimasse und griff dann zu einem schon vorbereiteten Blatt Papier.
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