Ewig Dein
ist im Krankenstand oder im Urlaub.« Basti überflog seine Notizen, hob einen geknickten Zeigefinger und murmelte: »Oder arbeitslos.«
An acht Werktagen jeweils nach Dienstschluss hatte Basti sein Auto in der Nisslgasse, gegenüber von Hannes’ Wohnhaus, geparkt und, gemeinsam mit Bianca, das Eingangstor ins Visier genommen. »Dort ist er dann immer wieder aufgetaucht, ich selbst konnte das Objekt mit eigenen Augen lokalisieren«, sagte Bianca. Judith: »Subjekt identifizieren.« Bianca: »Was bitte?« Judith: »Du meinst, du hast ihn erkannt.« Bianca: »Ja klar, das war volle Ihr Hannes, also Ihr Ex-Hannes, so wie der bewegt sich nur einer auf der Welt.«
An seinem Erscheinen war freilich wenig Verdächtiges zu erkennen, erfuhr Judith: Hannes kam oder ging nie in Begleitung, er war immer allein. Er wirkte niemals gehetzt oder nervös. Einmal hielt er einer alten Dame die Tür auf, einmal begrüßte er beim Eingang freundlich ein junges Paar. Seine Kleidung war offenbar so unauffällig gewesen, dass selbst Bianca die Worte dazu fehlten.
Weitere Beobachtungen: Er betrat und verließ das Haus an manchen Abenden mehrmals hintereinander in kurzen Intervallen – und niemals mit leeren Händen. Manchmal hielt er eine Dokumentenmappe unter dem Arm. Dann wieder trug er einen schwarzen Aktenkoffer, einige Male hing ein violetter Sportrucksack auf seinem Rücken, ein paar Mal baumelten Einkaufstaschen von seinen Händen und einmal, als er aus dem Haus kam, lastete ein in Papier eingehüllter großer Gegenstand auf seiner Schulter, schwergewichtig, wie an seinen angestrengten Gesten zu erkennen war.
Wann er das Haus abends zum letzten Mal verließ und ob er möglicherweise manchmal auswärts nächtigte, blieb vorerst ungewiss. »Das werden wir aber bald rauskriegen«, sagte Bianca, »wenn wir überhaupt noch weitertun sollen. Sollen wir, Chefin? Spaß machen täte es uns schon.« Nach kurzem Zögern und mit der Bitte, es nicht zu übertreiben, willigte Judith ein. Sie wollte ihnen die Freude an ihrem ersten gemeinsamen Forschungsprojekt nicht nehmen.
3.
Als sie den Brief von Hannes in der Hand hielt, befand sie sich in einer guten, harmoniebedürftigen Phase. Es war dies seine erste direkt an sie gerichtete Botschaft seit dem gespenstischen Rückzug im Sommer. Sie wertete es als gutes Zeichen, dass ihre Hand dabei nicht zitterte. Sie lehnte am Küchenregal, biss von einem Croissant ab und studierte das Schreiben, als wäre es eine Werbebroschüre für Fensterdichtungen. Der zwei Seiten lange Text war am Computer eingetippt und ausgedruckt worden, Schriftart (Arial) und Schriftgröße (14) waren ebenso unauffällig wie der Briefkopf: Hannes Bergtaler, Nisslgasse 14/22, 1140 Wien.
»Liebe Judith«, danach folgte ein Beistrich, der gesamte Brief kam ohne ein einziges Ausrufezeichen aus. »Liebe Judith, ich habe erfahren, dass du im Spital warst. Hoffentlich geht es dir wieder besser. Die von Univ.-Prof. Dr. Dr. Karl Webrecht geführte Station, an der du angeblich versorgt wurdest, genießt einen exzellenten Ruf. Ich bin überzeugt davon, dass du dort in den besten Händen warst und bist.« Und bist?
»Du hast mir vor zwei Wochen eine Mobilboxnachricht hinterlassen, welche mich sehr betroffen gemacht hat.« – Sie hatte ihm eine Nachricht auf die Box gesprochen? – »Ich weiß, dass mir in der Zeit, in der wir liiert waren, es war die schönste Zeit meines Lebens, viele Missgeschicke unterlaufen sind und dass ich schwere Fehler begangen habe. Liebe kann bekanntlich blind machen. Die Konsequenz war, dass du dich von mir abgewendet hast. In meiner unendlichen Liebe zu dir wollte ich das nicht wahrhaben. Ich habe Dinge getan, welche ich heute zutiefst bereue. Ich habe mich in dein Familienleben eingemischt, wiewohl du mich nicht darum gebeten hattest und es auch gar nicht zweckdienlich und dir angenehm war. Dafür will ich dich um Verzeihung bitten. Zu meiner Verteidigung kann ich allerhöchstens ins Treffen führen, dass ich zu dieser Zeit selbst sehr belastet war, auch beruflich, und letztendlich mit einem Burn-out-Syndrom einige Zeit sogar im Spital verbringen musste. Es war mein Tiefpunkt, ich wollte nicht, dass du davon erfährst und dir Sorgen machst oder gar Schuldgefühle entwickelst.
Nach und nach, und da ist die Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe ein wichtiger Faktor gewesen, ist es mir aber gelungen, den notwendigen Trennstrich zu dir zu ziehen. Glaube mir, das war ein schwieriger Prozess, der tiefste
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