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Ewig Dein

Ewig Dein

Titel: Ewig Dein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Glattauer
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und längste Tunnel, der mir auf meinem Lebensweg bisher beschieden war. Nun aber bin ich durch, und das Licht strahlt wieder, gedämpft freilich, aber von Tag zu Tag wird es einen Hauch kräftiger. Judith, ich werde dir nie mehr zu nahe treten, NIE WIEDER NÄHER, ALS DU SELBST ES WILLST, das verspreche ich bei allem, was mir heilig ist.« – Das war doch schon einmal ein brauchbarer Ansatz, dachte sie.
    »Deine Mobilboxnachricht, liebe Judith, hat mir sehr, sehr wehgetan. Du warst wie verwandelt, gar nicht du selbst, so aggressiv, so böse, so hasserfüllt. Deine Worte schmerzten: Du ließest dich nicht für dumm verkaufen, du wüsstest, dass ich dich beobachte, ich könne dir keinen Schrecken mehr einjagen, also solle ich mich zeigen, ich Feigling. Und wenn nicht, dann fändest du mich, wo immer ich sei.« – Das hatte sie ihm tatsächlich mitgeteilt? Interessant. War das also doch keine Einbildung gewesen.
    »Judith, ich wollte dir nie Angst machen, allein schon der Gedanke ist grauenhaft. Ich dachte, es wäre in unser beider Sinn, wenn wir uns eine Zeitlang weder hören noch sehen, deshalb habe ich mich zurückgezogen. Ich habe hier nur den Rat unserer gemeinsamen Freunde befolgt, welche mir zu verstehen gaben, dass du momentan schlecht auf mich zu sprechen, geradezu allergisch gegen mich wärest. Ich will mich aber keinesfalls vor dir verstecken. Ich will in deinen Augen nicht auch noch ein Feigling sein. Um dir das mitzuteilen, habe ich nun diesen Brief verfasst.
    Also, Judith, hier bin ich. Ich kann zum Glück auch ohne dich existieren. Dennoch: Mein allergrößtes Anliegen, mein Lebenswunsch wäre es, dass wir Freunde werden könnten. Wenn immer du mich brauchst, werde ich für dich da sein, das versichere ich dir. Meine Gefühle zu dir kann mir ohnehin niemand nehmen. In ewiger Treue, Hannes.«
    Sie legte den Brief zur Seite, betrachtete noch einmal ihre Hand, die ruhig geblieben war, schenkte sich aus der blauen Thermoskanne eine Tasse lauwarmen koffeinhaltigen Kaffee ein, nahm ein Glas Wasser, drückte eine Tablette aus der Verpackung, führte sie bereits zum Mund, machte mit der Hand auf halbem Wege kehrt, brach die Tablette in der Mitte, packte eine Hälfte wieder weg, schluckte die andere, spülte einen Schluck Wasser nach, ballte die Fäuste wie in stiller Vorfreude auf einen realistisch gewordenen Sieg und sagte: »Keine Angst mehr, keine Angst.«
     
4.
    Danach gelang ihr das Kunststück, drei Nächte in Serie durchzuschlafen. Außerdem sehnte sie sich nach Gesellschaft. Beides musste gefeiert werden. Wie in uralten Zeiten organisierte sie den Samstagabend in der Gruppe von der Badewanne aus. Gerd freute sich riesig und sagte sofort zu, obwohl er und Romy Karten für ein Soulkonzert im Porgy & Bess hatten. Judith: »Romy?« Gerd: »Ja, Romy. Seit dreizehn Tagen.« Judith: »Wenn ihr fünfzehn schafft, dann muss sie unbedingt mitkommen!«
    Ilse, Roland, Lara, Valentin – alle hatten für Samstag ursprünglich was vor, aber nichts annähernd so Nettes, als sich von der offensichtlich genesenen und in Hochstimmung befindlichen Judith zum Wildgulasch-Essen einladen zu lassen. Das waren eben Freunde, die mochten sie wirklich gern, die standen auf Abruf bereit, wenn es galt, ihren Wiedereinstieg in die wunderschöne Banalität des Wochenendalltags zu feiern. Am nächsten Tag sagte auch noch Nina, die Tochter von Musikhaus König , zu. (Vielleicht war ja Gerd doch wieder Single.)
    Und dann überkam Judith in ihrem Übermut plötzlich eine absurde Idee, die sie sich selbst noch vor ein paar Tagen niemals zugetraut hätte. Doch der Brief hatte alles auf den Kopf gestellt. Alleine der Umstand, dass sie es für denkmöglich hielt, Hannes ihre Wohnung betreten zu lassen, beflügelte sie. Es zeugte von Tollkühnheit, gab ihr ein gehöriges Stück Selbstachtung zurück – gerade darin hatte sie großen Aufholbedarf.
    »Mein allergrößtes Anliegen, mein Lebenswunsch wäre es, dass wir Freunde werden könnten«, hatte er in seiner unnachahmlich pathetischen Art geschrieben. Nun gut, dieser Zug war wohl abgefahren, dafür war einfach zu viel Unerfreuliches geschehen. Aber warum sollte sie nicht diese kleine Geste der Versöhnlichkeit setzen? Warum nicht dem engen Freundeskreis zeigen, dass sie wieder fähig war, über ihren Schatten zu springen?
    Dieser Schatten war in wenigen Tagen auf ein überschaubares Maß geschrumpft, er verfolgte sie nicht mehr, jagte ihr keine Angst mehr ein, dirigierte sie nicht mehr,

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