Ewig Dein
brauchte.
»Judy, wir wollten es dir nur nicht am Telefon sagen«, entschuldigte sich Lukas. Judith: »Sehr rücksichtsvoll. Besser auf der Psychiatrie!« Antonia: »Er hat mich vor einer Woche besucht.« Judith: »Dich?« – Antonia: »Ja, ich war auch verblüfft, aber er stand auf einmal vor der Tür.« Judith: »Ganz der Alte.« Antonia: »Nein, nicht ganz der Alte!« Sie machte eine künstliche Sprechpause und startete leise wieder an.
»Judith, wir beide, du und ich, wir kennen uns nicht gut.« »Stimmt«, erwiderte Judith bemüht wertfrei und verkniff sich den überfälligen Seitenblick auf Lukas. Antonia: »Vielleicht ist die Perspektive einer Außenstehenden …« Judith: »Ich weiß, was du meinst. Komm, sag schon, spuck es aus!« Antonia: »Judith, vor diesem Mann musst du dich – nie – nie – nie wieder fürchten!« Judith: »Das lässt er mir ausrichten?« Sie tat so, als könnte sie nur mühevoll ein Gähnen unterdrücken. Antonia: »Nein, Judith, das ist die Quintessenz unseres Gesprächs. Das ist meine volle Überzeugung. So was weiß man, so was sieht man, so was spürt man. Das sage ich dir als …« Judith: »Außenstehende.«
»Judy!« Jetzt war Lukas am Wort. Er griff wirklich schön bedächtig und zart nach ihrer linken Hand, als hätte er diese Szene vor dem Spiegel geübt. Schon ein wenig enttäuschend, dass Antonia nicht den Funken von Eifersucht erkennen ließ. »Judy, wir wollen dir helfen, dein Feindbild abzubauen. Damit muss endlich Schluss sein. Das zermürbt dich. Das macht dich traurig. Das macht dich fertig. Das macht dich, ja, das macht dich krank.« – »Und es gründet auf einem Irrtum, auf einer völligen Fehleinschätzung der Situation«, vollstreckte Antonia. Endlich wirkten sie auch rhetorisch wie ein eineiiges Zwillingspaar. Schwesterchen: »Judith, dieser Hannes will dir nichts Böses!« Brüderchen: »Ehrlich nicht, im Gegenteil.« Schwesterchen: »Er würde alles dafür tun, dass es dir wieder besser geht.« – »Moment!«, protestierte Judith. Jetzt hatte sie endlich wieder Kraft in ihrer Stimme. »Wie kommt er überhaupt auf die Idee, dass es mir schlecht geht?« – Lukas: »Judy, das ist ja schon längst nicht mehr zu übersehen. Das wissen wir alle. Darunter leiden Ali, Hedi, deine Familie. Darunter leiden alle deine Freunde, alle, denen du am Herzen liegst.«
»Ich will aber nicht, dass ich Hannes am Herzen liege. Denn – er – ist – definitiv – nicht – mein – Freund!« So, jetzt wusste es auch die Stationsschwester mit dem schiefen Gebiss. »Und er wird es niemals werden, wie viele Bittsteller und Fürsprecher er mir auch ans Krankenhausbett schickt.« Sie entzog ihm die Hand. »Schade, dass du auch schon zu seinen PR-Agenten zählst. Ich dachte, wenigstens DU bist auf meiner Seite.« Sie streifte Antonia mit einem hastigen Blick. Lukas: »Judy, ich BIN auf deiner Seite. Denn es gibt hier nur eine Seite. Es gibt keine Gegenseite. Bitte fang endlich an, das zu begreifen. Nur so kommst du aus dem Schlamassel heraus!« – »Okay, okay, okay. Therapiestunde beendet?«, fragte Judith. Sie rang sich ein Lächeln ab. Auf dieses Signal schien die Krankenschwester gewartet zu haben. »Es wäre dann bitte!« Sie tippte in Ermangelung einer Armbanduhr auf ihre Pulsader.
»Judy, wenn du willst, komme ich morgen wieder«, sagte Lukas, »und wir reden in Ruhe darüber.« Er nahm noch einmal ihre Hand, das tat gut, trotz oder wegen Antonia. »Danke, wirklich nicht notwendig, ich glaube, ich hab’s verstanden«, erwiderte Judith so freundlich sie konnte. »Aber schön, dass ihr gekommen seid!« Ohne Spritzen und Tabletten hätte sie diesen Satz nicht herausgebracht. »Ruf mich einfach an, wenn dir danach ist«, sagte Lukas, »ich bin immer für dich da.« Antonia nickte, um seine Worte abzusegnen. Dann gab es noch vier Küsse auf Judiths Wangen, zwei warme und zwei kühle.
3.
Am Dienstag hatte sie ihr erstes, stationäres Rendezvous mit Jessica Reimann, keine vierzig Jahre alt, keine 1,65 Meter groß, keine fünfzig Kilo schwer – aber offenbar sehr kopflastig oder zumindest Fachärztin für Psychiatrie. Sie saß vor einem übermächtigen Computer und tippte von einem Zettel mit fünf oder sechs Namen – Judiths Daten ein. »Wer sind die anderen?«, fragte Judith. Reimann lächelte schelmisch. – »Vergleichbare Krankengeschichten, aus unserem schlauen Archiv.« Toll, dass nun auch Judith »Krankengeschichte« schrieb, dachte sie, vielleicht würde sie
Weitere Kostenlose Bücher