Ewig Dein
»Isabella Permason heißt sie, nur mit einem M, glaub ich. Ich hab schon nachgeschaut, berühmt ist sie nicht, und auf Facebook ist sie auch nicht.«
»Isabella Permason«, flüsterte Judith und starrte auf den Zettel. – »Kennen Sie sie?« – »Nein, nein«, erwiderte Judith, »nur der Name … der Name …« – »Ist ja egal«, sagte Bianca, »Hauptsache, sie hat den Luster gekauft, Frau Chefin. Finden Sie nicht auch?« – »Ja, Bianca.« – »Aber Sie freuen sich volle überhaupt nicht«, beschwerte sich das Lehrmädchen. »Doch«, sagte Judith, »es kommt schon, es kommt schon.«
Phase elf
1.
Die ersten Nächte daheim waren ein selbst auferlegter psychischer Härtetest. Judith wusste, wie gefährlich es war, bei Dunkelheit in diesen ungeschützten Räumen an Hannes zu denken, das war wie Krafttraining unmittelbar nach einem Bandscheibenvorfall. Doch es ging nicht anders. Immer wenn sie die Augen schloss, aktivierte sich die unerquickliche Bildergalerie der vergangenen Monate, und darin war Hannes stets ihr furchterregendes Hauptmotiv gewesen. So zwang sie sich, die Augen offen zu halten, solange dies möglich war. Jeden Morgen danach fehlten ihr wieder einige Stunden Schlaf.
Es gab aber auch andere, widersprüchliche neue Gedanken an ihn: Hannes hatte da plötzlich die Seiten gewechselt, war aus ihrem Schatten getreten, war nicht mehr ihr Verfolger, sondern ihr engster Verbündeter. Es waren schöne, mitunter verklärte Vorstellungen: Im Schulterschluss mit ihm befreite sie sich von ihren Ängsten, öffnete sich ihren Freunden, vertraute sich ihrem Bruder Ali an, suchte und fand die Nähe zu ihren Eltern. Hannes übernahm die Führerrolle, war Beschützer und Vermittler, ihr längst überfälliges Bindeglied zwischen innen und außen, der Garant für Harmonie, der Schlüssel zu ihrem Glück.
Judith bildete sich ein, dass es die Wechselwirkung der Medikamente war, die diese akrobatischen Gedankensprünge auf die sichere Seite ermöglichte. Um das neue Gefühl der Geborgenheit länger in sich tragen zu dürfen, erhöhte sie – was ihr von Jessica Reimann streng untersagt war – die Dosis aller drei Pulver und steigerte sich damit in rauschähnliche Zustände. Manchmal waren diese von Sehnsuchtsattacken an Hannes begleitet, in denen sie sich nichts dringlicher wünschte als ihn wieder zurück in ihr Leben.
Wenn die Wirkung nachgelassen hatte, was meistens zwischen Mitternacht und dem Morgengrauen der Fall war, fand sie sich nicht nur abermals einsam auf der anderen Seite, abgeschieden von allen Menschen, die ihr wichtig waren, unfähig, auch nur einen Mauseschritt auf sie zuzugehen. Sie hatte nun auch wieder ihren Feind im Schatten, Hannes, den Verursacher allen Übels, den Erreger ihrer Krankheit. Sie genierte sich, diesem Mann gegenüber Nähe verspürt, ja diese herbeigesehnt zu haben. Und sie wunderte sich über ihre Anfälle naiven Vertrauens und hündischer Unterwürfigkeit.
Aber auch diese Katerstimmungen hatten Bruchstellen, in denen sie sich dabei ertappte, die verkehrte Richtung einzuschlagen, einen Weg zu gehen, der sie von allen entfernte, die es gut mit ihr meinten, und der in die Sackgasse der Isolation mündete. Da fiel ihr die Warnung der Psychiaterin ein. Judith war im Begriff, stur, borniert, misstrauisch und feindselig Kurs auf die Insel der ewigen hundertsten Menschen zu nehmen. Um das zu verhindern, schluckte sie je eine Tablette, und die nächste Fahrt in der Hochschaubahn ihrer Gehirnzellen begann.
2.
Im Geschäft wartete Bianca wieder mit einer Überraschung auf. Basti saß auf Judiths Bürostuhl, Papier und Kugelschreiber auf dem Schoß, und drehte verlegen an seinem Kügelchen oberhalb der Lippe. »Wir haben die Spur zu Ihrem Ex aufgenommen«, sagte Bianca. Das klang wie der Text einer Sprechblase aus einem satirischen Detektiv-Cartoon. »Sie haben sicher geglaubt, wir haben volle vergessen, aber wir wollten Sie nur wieder zu Kräften kommen lassen, stimmt’s, Basti?« Erst zuckte er mit den Schultern, dann entschied er sich, zustimmend zu nicken. Sie strich mit den Fingerspitzen durch sein rotes Haar und gab ihm einen klatschenden Kuss auf die Stirn.
Danach legten sie ungefragt ihren ersten Rechenschaftsbericht vor: Zunächst hatten sie Hannes beim Betreten und Verlassen des Architekturbüros zu beobachten versucht. »Aber dort ist er nie aufgetaucht, egal wann Basti es probiert hat«, erklärte Bianca. Schlussfolgerung: »Er arbeitet woanders oder daheim, oder er
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