Ewig Dein
verfangen, zum Beginn der Strecke, auf der sie sich verrannt hatte?
Am besten fühlte sie sich immer dann, wenn die Resignation über ihren Zustand in Apathie übergegangen war, wofür das Personal hier zum Glück alle Mittel in der Hand hatte. Je mehr sich Ärzte und Schwestern über ihren miesen Krankheitsverlauf sorgten, desto ruhiger wurde sie. Denn es bedeutete, dass sie noch länger auf der Station verweilen dürfen würde. Einen besseren Schutz vor sich selbst kannte sie nicht.
Nach einigen Tagen empfing sie in ihrem kleinen weißen Einzelapartment, dessen karges Interieur von einem ausgehungerten Philodendron überwacht wurde, auch wieder Besucher, Gerd und alle anderen, die unverwüstlich an der Auferstehung ihrer alten Judith festhielten. Zumindest spielten sie diese Rolle von Mal zu Mal professioneller, und die Patientin dankte es ihnen mit einem Lächeln, das hoffentlich weniger gequält aussah, als es sich anfühlte.
Die Nächte in der Klinik verliefen unspektakulär, wenngleich ihr der Tiefschlaf im Nachhinein, beim Erwachen, immer ein wenig gekünstelt erschien, aber immerhin hatte man den Stimmen damit eine durchgängige stationäre Schweigepause verordnet. Nur der Kristallluster aus Barcelona kam ihr mehrmals in den Sinn. Und irgendwann fiel ihr auch wieder ein, wie die Kundin geheißen haben soll, die diesen Schatz an sich gerissen hatte: Isabella Permason. Wieso bildete sie sich ein, diesen Namen schon einmal gehört oder gelesen zu haben? – Da dies ihr vorerst letztes Rätsel war, dachte sie gerne daran. Danach freute sie sich stets ein bisschen, wieder nicht dahintergekommen zu sein. Denn in ihren kurzen Isabella-Permason-Nachdenk-Phasen spürte sie, dass in ihrem Kopf wenigstens noch irgendetwas arbeitete. Der große Rest war geistige Stilllegung auf niedrigem Niveau, nicht höher als die Matratze ihres Anstaltsbetts, das sie am liebsten niemals mehr verlassen wollte.
4.
Der erste grelle Lichtblick in der milchglasigen Naturtrübe ihres Patientendaseins war Bianca. »Mädel, du bist das strahlende Leben«, schwärmte Judith im Tonfall einer Urgroßmutter am Sterbebett. »Sie, ehrlich gestanden, leider nicht, Chefin«, erwiderte Bianca. »Sie schauen abgekämpft und fertig aus. Meiner Meinung nach müssen Sie volle dringend zumindest an die frische Luft. Und dann zum Friseur.«
Dabei war ihr Lehrmädchen keineswegs zu beneiden, denn Judiths Mutter kümmerte sich in ihrer Abwesenheit um die Geschäfte. »Ist es sehr schwierig mit ihr?«, fragte Judith. »Aber nein, gar nicht«, sagte Bianca, »Ihre Mama ist in vielen Dingen eh so ähnlich wie Sie.« – »Noch so ein Kompliment, und du kannst gleich wieder gehen.«
Später kam die Sprache auf Hannes. »Dem Basti und mir ist nämlich etwas aufgefallen«, sagte Bianca. »Nein, Bianca«, erwiderte Judith, »ich will das nicht mehr. Hört bitte auf, ihn zu beobachten, das ist eigentlich unfair.« Judith erzählte ihr, dass Hannes es war, der sie gefunden und ins Spital gebracht hatte, und dass er immerhin derjenige ihrer Freunde war, der ihr Krankenbett gehütet hatte, als sie aufwachte. – »Ja, das weiß ich von Ihrer Mama«, sagte Bianca, »die schwärmt ja mega von ihm, ich glaub, sie ist sogar ein bisschen verknallt, aber bitte, warum auch nicht, vom Altersunterschied her ist das zwar komisch, aber egal, weil Madonna zum Beispiel oder Demi Moore …« – »Jedenfalls jagt er mir keinen Schrecken mehr ein, und das ist in meinem Zustand das Wichtigste«, sagte Judith. Bianca fragte: »Darf ich trotzdem erzählen, was Basti aufgefallen ist? Ich bin so stolz auf ihn, er wird einmal ein richtiger Detektiv, vielleicht ist er dann auch der Held in einer Filmserie.«
Dann folgte Biancas detailfreudige Abhandlung über die leuchtenden Würfel: »Immer wenn jemand am Abend, wenn es schon dunkel ist, das Haus betritt, wo Ihr Hannes, also Ihr Ex-Hannes wohnt, leuchten fünf Würfel übereinander – das sind die Stiegenhauslichter, sagt der Basti. Dann muss man eine Weile warten. Und dann leuchtet irgendwo anders ein Würfel. Muss man länger warten, leuchtet der Würfel sehr weit oben, sagen wir im fünften Stock. Muss man nur kurz warten, leuchtet er, sagen wir, im Erdgeschoss oder höchstens im ersten Stock, sagt der Basti. Weil alle, die dort wohnen, haben ein Fenster zur Straße. Manche Würfel leuchten hell, da ist das Licht, das jemand aufdreht, wenn er bei der Tür reinkommt, sehr nahe beim Fenster. Und manche Würfel leuchten nur
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