Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ewig Dein

Ewig Dein

Titel: Ewig Dein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Glattauer
Vom Netzwerk:
Schlafzimmer, öffnete den wuchtigen Kleiderkasten und begann ihn zu leeren, schleuderte mit beiden Händen den gesamten Inhalt heraus, türmte Mäntel, Jacken, Pullover, Hemden, T-Shirts, Blusen, Hosen, Strümpfe und Unterwäsche zu einem riesigen Haufen. Dann begann sie, ihre Kleidung zusammenzulegen und wieder einzuräumen, von oben nach unten, Stück für Stück, Bug auf Bug. Nach einiger Zeit verzichteten ihre Hände auf Judiths Beteiligung und machten es allein.
     
7.
    Einige sahen ihr von der Ferne zu. Sie standen auf dem Regal und hingen über der Kommode. Ganz normale Bilder aus der Kindheit, mochte man meinen, aber die Rahmen konnten sie nicht mehr halten. Den sie jetzt fixierte, der kam direkt auf sie zu. Er hatte große, abstehende Ohren, dichtes schwarzes Haar und lange Wimpern. Komm, Ali, sagte sie, du kannst ruhig mithelfen, zu zweit haben wir den Kasten schnell eingeräumt, und dann gehen wir ins Kino.
    Was meinst du? Komm näher, ich verstehe dich so schlecht. Bitte mach nicht so ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Du willst immer nur Verstecken spielen, seit du geboren bist, spielen wir Verstecken. Na gut, wenn es draußen hell ist, gehen wir in den Park. Du kannst dir schon einmal die Schuhe anziehen. Ich muss hier noch schnell fertigmachen.
    Ja, ja, ja, Ali, du brauchst nicht so zu schreien, ich komme schon. Ich nehme noch schnell die Sonnenbrille. Ich setze den Hut auf. Ich brauche keine Jacke, Mama, ich verkühle mich nicht, mir ist heiß, nein, ich werde nicht krank. Ja, ich passe auf Ali auf! Hier ist sein Bild. Der Nagel bleibt da. Aber Ali kommt mit. Wir gehen ins Freie. Wir wollen nur ein bisschen spielen, Mama. Wir sind im Reithoferpark.
    Ich stecke den Schlüssel ein. Ich öffne das Haustor. Draußen ist es schon hell. Bleib bei mir, Ali, lauf nicht vor. Pass auf die Leute auf, stoß sie nicht, remple sie nicht, das sind Räuber und Gendarmen, aber die spielen nicht, die meinen es ernst. »Und Sie lassen gefälligst Ali in Ruhe, das ist mein kleiner Bruder! Hier ist sein Bild.« »Schauen Sie nicht so böse!« »Und Sie rühren uns nicht an! Wir gehen in den Park!«
    Da sind endlich die Bäume, die Bank ist besetzt, ich lege mich ins Gras, mir ist ein bisschen schwindlig von der frischen Luft, ich darf mich nicht abhetzen. Ali, wo bist du? Hast du dich versteckt? Spielst du schon? Komm her, Ali, ich muss mich noch ein bisschen ausruhen. Ich bin zu viel gelaufen, meine Beine sind müde.
    Ali? Ali, komm her! Das ist nicht lustig. Du darfst nicht so lange im Versteck bleiben. Das ist kein Spiel mehr. Ali? Ali? Aaaaaaaaaaaliiiiiiiiiiii? »Entschuldigung, haben Sie meinen Bruder Ali gesehen?« »Nein, ich brauch keine Jacke, ich verkühl mich nicht, mir ist nur ein bisschen schwindlig, und ich hab meinen Bruder verloren.«
    »Hallo, ihr da drüben. Ja seid ihr denn alle taub? Warum rennt ihr davon? Selber verrückt! Lauter Verrückte!« Mir ist schwindlig, mir ist schlecht. »Warum glotzt ihr so? Ich ruh mich nur ein bisschen aus.«
    Den Mann kenne ich. »Hannes? Hannes? Bist du es? Dich schickt der Himmel!« »Danke, mir ist nicht kalt.« »Nein, Hannes, aber ich weine nicht, ich habe Ali verloren. Du musst mir helfen … Du hast ihn gefunden? Und es geht ihm gut? Ist Mama sehr böse auf mich?« »Nein, ich reg mich nicht auf. Ich bin nur so glücklich, ich dank dir so sehr …« »Ja, das versprech ich. Bring mich nur weg von hier. Ich ertrag die Menschen hier nicht, wie sie glotzen. Nein, ich hab keine Angst vor einer Spritze …« »Ja, bitte bleib! Ich brauch dich! Du musst jetzt bei mir bleiben.«

Phase zwölf
1.
    Das schmutzigweiße Nachtkästchen gehörte zum Inventar einer Nervenheilanstalt, und in dem Bett daneben lag leider sie. – Judiths erste Erkenntnis auf dem Schaumgummiboden der Wirklichkeit war so bedrückend, dass sie es vorzog, gleich wieder einzuschlafen, ganz im Sinne des Wirkstoffs ihrer Infusionen.
    Ihr zweites, sehr viel späteres Erwachen war weder gut noch böse. Es war jenseitig. Aber vielleicht sollte sie langsam damit beginnen, die jenseitigen Dinge als die schicksalhaften anzuerkennen und sich mit ihnen anzufreunden, statt sich andauernd gegen sie zur Wehr zu setzen. – Hannes. Ja, da saß tatsächlich Hannes, strahlte mittels der übernatürlich weißen Zähne seiner Großmutter übers ganze Gesicht, zwinkerte Judith kumpelhaft zu und holte sie damit aus ihrem medikamentös vorgezogenen Winterschlaf. Zur Verteidigung seiner Anwesenheit musste man sagen:

Weitere Kostenlose Bücher