Ewig Dein
ein bisschen, da ist das Fenster vom Eingang weiter weg. Aber alle leuchten. Und danach leuchten meistens auch noch andere Würfel daneben, das ist dann vielleicht die Küche oder das Wohnzimmer oder das Schlafzimmer, wo jemand das Licht aufgedreht hat. Aber irgendein Würfel muss immer leuchten, wenn jemand heimkommt, sagt der Basti. Außer er leuchtet schon vorher, dann war schon wer anderer zu Hause. Logisch, oder?« Judith: »Logisch.«
Bianca: »Der Hannes, also unser Objekt, hat seine Würfel im vierten Stock, es sind die Würfel sieben und acht, das hat der Basti megagenau ausgerechnet. Und jetzt passen Sie auf, Frau Chefin! Immer wenn der Herr Hannes am Abend das Haus betritt, leuchten, wie bei allen anderen, die fünf Würfel übereinander. Da hat er das Ganglicht aufgedreht, alles ganz normal. Und dann schaut der Basti auf die Würfel sieben und acht im vierten Stock. Er wartet zehn Sekunden, dreißig Sekunden, eine Minute, zwei Minuten – nichts. Fünf Minuten – noch immer nichts. Zehn Minuten – noch immer nichts. Fünfzehn Minuten …« – »Noch immer nichts«, murmelte Judith.
Bianca: »Ja genau! Basti sagt, da kann er warten, bis er schwarz wird, Würfel sieben und acht im vierten Stock leuchten niemals. Das hat er beobachtet. Schon interessant, oder? Das heißt nämlich nichts anderes, als dass der Herr Hannes kein Licht aufdreht, wenn er in seine Wohnung kommt, und er dreht es auch später nicht auf, er dreht es nämlich überhaupt nie auf. Er ist praktisch immer volle im Dunkeln. Das ist schon spannend, oder?« Judith: »Schon.« Bianca: »Weil die Stiegenhauslichter dreht er ja schon auf. Also ist er an sich nicht lichtscheu, nur in seiner Wohnung halt, da hat er es immer finster. Verstehen Sie das, Chefin?« – »Nein«, erwiderte Judith, wobei sie für sich behielt, dass sie es auch gar nicht verstehen wollte, und hätte sie es verstehen wollen, dann wäre die Lösung bestimmt banal gewesen, vielleicht waren bei Hannes einfach die Glühbirnen kaputt.
»Alle Achtung, das hat Basti wirklich gut beobachtet«, sagte sie. »Und jetzt hören wir auf damit und lassen den Herrn Hannes in Ruhe, okay?« – »Okay«, sagte Bianca. »Schade eigentlich, da gibt es sicher noch mehr Geheimnisse. Aber wenn Sie keine Angst mehr vor ihm haben und er Sie nicht mehr belästigt, dann ist es natürlich sinnlos.«
5.
Nach zwei Wochen hieß es, sie dürfe die Klinik verlassen, weil ihr Schub theoretisch längst abgeklungen sein musste, und über die Praxis bestimmten ohnehin die Medikamente. In Wahrheit wurden vermutlich freie Betten für frische Psychos benötigt, zu Allerheiligen wurde es auf den Akutstationen traditionsgemäß nämlich immer extrem eng. Judith wollte bei Jessica Reimann ein Veto gegen ihre Abschiebung einlegen, aber die befand sich gerade auf einem Psychiatriekongress in den Alpen – nicht nur Patienten brauchten ab und zu frische Höhenluft.
Übers Wochenende ließ man Judith noch einmal Anstaltskost und -logis genießen. Am Montag holte Mama sie ab, um sie nach Hause zu bringen. War da nicht einmal ein amerikanischer Amokläufer, der als Begründung für sein Massaker angab, Montage nicht zu mögen? Die starken Tabletten – darunter auch eine neue weiße Einheit gegen Depressionen – hatten sich zum Glück so gut auf sie eingestellt, dass sie ihre Mutter nur in abgeschwächter, konturenloser und auch im Tonfall des Leidens und Mitleidens gemäßigter Form wahrnahm.
Daheim, in diesen unheimlichen Räumen, in denen Stimmen und Geräusche nisteten, verkroch sich Judith sofort unter der Couchdecke. Mama beschäftigte sich eine Weile mit Staubsaugen, -wischen und -aufwühlen, servierte ihrer Tochter dann als Zeichen, wie schlecht es um sie bestellt war, eine Tasse ungezuckerten Kräutertee ans Sofa und warf die durchaus berechtigte Frage auf, wie denn das alles weitergehen solle mit ihr. Judith: »Keine Ahnung, Mama. Ich bin eigentlich nur müde.« Mama: »Man kann dich in diesem Zustand unmöglich alleine lassen.« Judith: »Doch, das kann man, ich will ohnehin nur schlafen.« Mama: »Du brauchst wen, der sich um dich kümmert.« Judith: »Ich brauche nur wen, der mich schlafen lässt.« Mama: »Ich werde bei dir einziehen.« – Judith: »Sag nicht solche Sachen, du weißt, dass ich psychisch labil bin.« – Mama: »Heute bleibe ich bei dir, und morgen reden wir weiter.« Judith: »Okay, Mama, gute Nacht.« – »Mama: »Es ist vier Uhr nachmittags. Träumst du, Kind?«
Phase
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