Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ewig Dein

Ewig Dein

Titel: Ewig Dein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Glattauer
Vom Netzwerk:
sich Judiths Augen mit Tränen füllten.
    »Sie stehen wahrscheinlich unter Einfluss sehr starker Medikamente, Sie Arme, das kenne ich, da ist man wie gelähmt, wie eingemauert, irgendwie gar nicht mehr von diesem Planeten, nicht wahr?« Jetzt blinzelte die blasse Frau wieder. Sie musste schön gewesen sein, als sie noch mit ihrem eigenen Verstand gelebt hatte, und nicht gegen ihn.
    »Es ist mir wichtig, Ihnen eines zu sagen. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen können oder … wollen, aber ich muss es Ihnen jetzt sagen: Ich habe Hannes nicht geliebt, niemals, ehrlich nicht. Aber ich habe es zu spät bemerkt. Das war mein schwerer Fehler. Das war meine … Schuld …« Jetzt bewegte die Frau ihren Kopf, versuchte ihn ruckartig nach links und nach rechts zu drehen und spannte dabei ihre schlaffen Gesichtsmuskeln an. So schwer fiel es ihr offenbar bereits, Widerspruch anzumelden.
    »Ich weiß nicht, ob ich das Recht habe, Ihnen gegenüber … Weiß Gott, was Sie erlebt haben, wie es dazu gekommen ist, dass Sie … Waren es Stimmen? Stimmen von nebenan? Ich kenne Hannes. Ihm ist jedes Mittel recht. Er verfolgt nur dieses eine Ziel. Er kann gar nicht anders. Sein Begriff von Liebe ist … das hat nichts mit Liebe zu tun. Ich bitte Sie um Verzeihung, wenn ich …«, stammelte Judith. – Erst presste Isabella nur die Augenlider zusammen, dann rührte sich ihre rechte Hand, entzog sich der von Judith, erreichte mit kleinen Sprüngen die Ablage neben ihrem Bett und streckte den Daumen von sich, um auf etwas hinzuweisen. Da stand neben einem Stapel von Bilderbüchern ein Radiowecker, davor ein Glas Wasser, neben Bananenschalen und Medikamentenpackungen lag ein Fieberthermometer, und in einer kleinen asiatischen Vase steckten ein paar blaue Plastikblumen. Doch die glashäutige Frau hatte offensichtlich die dahinter verborgene hellbraune Holzschatulle gemeint.
    Judith entnahm ihr eine Halskette mit großen, ockergelb schimmernden Bernsteinkugeln. »Sehr schön, an sich«, sagte sie, »ich hoffe, Sie mögen Bernstein etwas mehr als ich.« Wieder bemühte sich die Frau zu lächeln. Als Judith die Kette zurück in die Schachtel legen wollte, sprang ihr die Zeichnung auf einem bereits vergilbten Papier ins Auge – ein zu dick geratenes Bleistift-Herz. Auf der Rückseite standen ein paar handgeschriebene Zeilen. Judith las den kurzen Text, las ihn noch einmal, ergriff dann wieder die Hand der Frau, drückte sie fest und sagte: »Bella, ich habe eine große Bitte an Sie. Darf ich mir diesen Brief ausborgen? Nur für einen Tag. Ich bringe ihn wieder zurück. Ich komme wieder, ich lasse Sie hier nicht allein. Ich werde mit Ihrer Mutter reden, gleich anschließend, ich werde ihr die ganze Geschichte erzählen. Alles wird wieder … alles wird … besser. Ich werde mich um Sie kümmern, ich verspreche es.«
     
3.
    Für den Abend war ein vorweihnachtliches Fest mit der Familie und den engsten Freunden geplant, von dem Judith nichts ahnen sollte und, wenn es so weit war, wohl auch nicht viel mitbekommen würde. – Dachten sie. Aber sie wollten Hannes die Freude an der Überraschung nicht nehmen.
    Am späten Nachmittag hatten Judith, Bianca und Basti alle notwendigen Vorbereitungen für ein Gelingen dieser ganz besonderen Feier getroffen. Judith hatte sich noch ein letztes Mal in ihr Bett verkrochen und hörte nun, wie die ersten Besucher eintrudelten, wie sich ihre Sektgläser gegenseitig willkommen hießen und wie ihre Stimmbänder dazu die eingangs üblichen floskelhaften Lockerungsübungen durchführten.
    Zwischendurch wurde freilich auch ernst und betreten getuschelt, das war man der entmündigten Hausherrin schon schuldig. Über ihren Geisteszustand erfuhr sie, dass dieser »stagniere«, der »kritische Punkt aber bereits überschritten« wäre, dass es »schon lange keine Eklats mehr gegeben« hätte, dass sie »eine brave Esserin« sei, und wie großartig die moderne Medizin mit ihren genial facettenreichen Wirkstoffen doch war. Diese ermöglichten es, psychiatrischen Patienten daheim »ein absolut menschenwürdiges Dasein« zu gewährleisten. Mehr noch, Judith war »eine richtig fröhliche, ausgeglichene Frau«, wusste Hannes, und sie konnte »auf diese Weise gut und gern hundert Jahre alt« werden.
    Am Ende der Gesundheitsdebatte verlieh Mama Hannes für die aufopfernde Pflege und Betreuung ihrer Tochter offiziell und unter gediegenem Applaus der Festgäste das kirsch- oder weinrote Verdienstzeichen ihrer garantiert

Weitere Kostenlose Bücher