Ewig sollst du schlafen
Wohnung, die vor ihren Augen zerfielen. Während die Skelette zu Staub wurden, lachte irgendwo in der Dunkelheit der Mörder, ein grausiges Gejauchze, das ihr Herz zum Rasen brachte und ihr kalten Schweiß aus den Poren trieb. Sie quälte sich schließlich aus dem Bett, schlich die Treppe hinunter und hörte den letzten Akt eines Streits zwischen ihren Eltern, der in dem Moment verstummte, als sie die Küche betrat und ihre Mutter, mit schmalen Lippen, sie bemerkte. Charlene warf ihrem Mann einen Blick zu, der ihn warnte, noch ein weiteres Wort zu äußern, und entrang sich ein Lächeln.
In der folgenden Stunde, während sie Kaffee in sich hineinschüttete und versuchte aufzuwachen, musste sich Nikki wohl ein Dutzend Mal die Gründe dafür anhören, dass sie die Berichterstattung über Verbrechen besser aufgeben sollte. Sogar ihr Vater unterstützte die Bemühungen seiner Ehefrau, riet Nikki, wieder zur Uni zu gehen, Jura zu studieren und in die Fußstapfen ihres alten Herrn zu treten … Ausgeschlossen. Das Jurastudium war die Erfüllung ihres Vaters gewesen. Andrew hatte ebenfalls Ambitionen in dieser Richtung gehabt, sie selbst hatte jedoch nie in Erwägung gezogen, Juristin zu werden. Allerdings fragte sie sich jetzt, Mums streitsüchtigen Schmähreden rettungslos ausgeliefert, ob sie vielleicht doch dem Rat ihrer Mutter folgen sollte.
»Der Mörder war in deiner Wohnung?«, fragte Norm ungläubig.
»Ja, vor ein paar Tagen.«
»Und was war letzte Nacht los?«, wollte er wissen. »Ich habe im Polizeifunk von der Sache gehört, aber ich war beschäftigt und … Moment mal, geht’s dir gut?«
»Willst du die Wahrheit wissen?«, gab sie zurück und legte sich den Riemen ihrer Tasche über die Schulter. »Mir geht’s absolut beschissen. Im Gegensatz zu deiner Einschätzung bin ich nicht willens« – sie hob einen Finger – »a, meine Seele zu verkaufen« – ein weiterer Finger schnellte nach oben – »b, meinen Körper zu verkaufen« – sie reckte den dritten Finger in die Höhe – »oder c, hinzunehmen, dass irgendein Kerl in meine Wohnung einbricht und meine Sachen durchwühlt, nur, damit ich meine Story bekomme.« Sie schickte sich an, ihn stehen zu lassen, da bemerkte sie Kevin Deeter, den Kopfhörer auf den Ohren, am Süßigkeitenautomaten. Er betrachtete das Display, als gäbe es das Wort Gottes in Neonschrift und für nur einen Dollar aus. Im Vorbeigehen sah sie sein Spiegelbild in dem Glas über den Snickers, Chips und Lakritzen. Seine Miene war undurchdringlich, sein Blick war ins Leere gerichtet, als interessierte er sich gar nicht für die Süßigkeiten, sondern hätte ihr Gespräch mit Norm belauscht.
Was hatte das zu bedeuten? Sie näherte sich ihm leise und schenkte sich einen Becher Kaffee aus der Glaskanne ein, die auf der Warmhalteplatte stand. Während sie Milch in ihren Becher rührte, gab sie vor, das Angebot des Automaten zu studieren, und flüsterte: »Was schmeckt am besten?«
»Was? Oh. Eigentlich schmeckt alles gut.« Sie zwirbelte das Rührstäbchen und sagte noch leiser: »Ich dachte an M&M’s, aber die sind ausverkauft.«
»Nein, sind sie nicht.« Er tippte mit einem dicken Finger auf das Glas. »Da, siehst du? M&M’s-Erdnüsse.« Stirnrunzelnd trank sie einen Schluck Kaffee und fixierte die Stelle, wo sein Stammelfinger einen fettigen Abdruck auf dem Glas hinterlassen hatte. »Du hast Recht.«
»Klar. Da sind sie doch.«
»Hm. Aber wieso kannst du mich verstehen?«
»Was?«
»Obwohl du den Kopfhörer aufhast und angeblich Musik hörst, kannst du verstehen, was ich sage, und wenn ich noch so leise flüstere. Das finde ich ein bisschen merkwürdig. Also, was ist mit deinem Kopfhörer? Funktioniert er nicht, oder ist er nur Teil deiner Tarnung, damit du die Kollegen bespitzeln kannst?«
»Mann, leidest du unter Verfolgungswahn, oder was?« Die Röte kroch an seinem Hals hinauf in seinen Bartschatten. »Norm hat Recht, was dich betrifft.«
»Tatsächlich?« Sie blies in ihren Kaffeebecher, ohne Kevin aus den Augen zu lassen.
Ja. Ich – ich hatte die Musik gerade ausgeschaltet.«
»Dann nehmen die meisten Leute aber den Kopfhörer ab, Kevin.«
Ich bin halt nicht wie die meisten Leute.«
»Das kann ich bestätigen.« ein Gesicht wurde noch eine Spur röter, über einem Auge pochte eine Ader. Er biss die Zähne zusammen, und zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sich unter seinem weiten T-Shirt und der Jeans ein durchtrainierter, maskuliner Körper verbarg.
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