Ewig sollst du schlafen
Polizeiautos, Ü-Wagen und Zivilfahrzeuge rund um das Haupttor, an dem ein uniformierter Polizeibeamter Wache stand, andere Polizisten durchwinkte, Schaulustige sowie die Pressemeute jedoch zurückhielt.
Reed fuhr am Ü-Wagen von WKAM vorüber und parkte hinter dem Fahrzeug der Spurensicherung. Nikki schaute aus dem Fenster und sah Norm Metzger in seinem Impala eintreffen. Er schloss sich der am Tor versammelten Menge an und warf glücklicherweise nicht einmal einen Blick in ihre Richtung. Nikki empfand den Medienrummel plötzlich als persönlichen Affront. Es widerte sie geradezu an. Diese Leute mit ihren Rekordern und Kameras waren ihresgleichen, ihre Kollegen. Sie waren versessen auf Neuigkeiten, ohne Rücksicht auf die Tragödie, die sich hier abgespielt hatte, ohne zu bedenken, dass Simone Everly bis gestern eine lebendige junge Frau gewesen war. Ein Mensch, nicht einfach nur Stoff für einen reißerischen Artikel.
Wie oft warst du eine von ihnen? Wie oft hättest du alles für eine Story getan? Wie viele Menschen, die gerade einen schweren Verlust erlitten hatten, hast du interviewt, auf der Suche nach diesem kleinen Schatz, diesem einzigartigen Ansatzpunkt, der deinen Bericht auf Seite eins bringen würde?
Dir wurde flau im Magen, sie fürchtete, sich übergeben zu müssen. Wenn es doch wenigstens die Möglichkeit gäbe, dass Simone überlebt hatte … Wenn der Grabräuber doch ein einziges Mal Gnade hätte walten lassen … Aber sie wusste es besser. Die Kassette war schließlich der Beweis. Sie spähte durch die regennasse Windschutzscheibe und bemerkte, wie Norm Metzger und die anderen die Hälse reckten, um besser sehen zu können, wie Schulterkameras in der Hoffnung auf einen Blick auf das Werk des Grabräubers ausgerichtet wurden. Hoch am Himmel wies das Geräusch von Hubschrauberrotoren darauf hin, dass sich ein Fernsehsender aus der Vogelperspektive einen Überblick über das Friedhofsgelände verschaffte. Zoomlinsen nahmen die Polizisten ins Visier, die gerade das Beweismaterial sichteten, den Sarg ausgruben, ihn womöglich öffneten.
Nikkis Kummer und Schuldbewusstsein wurden übermächtig. Wieder revoltierte ihr Magen, und sie stieß die Tür auf und übergab sich auf den zertretenen Rasen. Es war ihr völlig gleichgültig, ob jemand sie dabei beobachtete. Sie nahm nicht einmal wahr, dass die Tränen über ihr Gesicht strömten. Sie hustete und wischte sich den Mund ab. Sie musste sich auf das konzentrieren, was sie nun zu tun hatte. Sie würde den Dreckskerl nicht einfach davonkommen lassen. Konnte nicht zulassen, dass er die Stadt terrorisierte und noch mehr Morde beging. Der verfluchte Grabräuber hielt Kontakt zu ihr. Benutzte sie. Es war an der Zeit, den Spieß umzudrehen.
Sie musste das Schwein finden und überführen. Um jeden Preis.
Bevor der Sarg gehoben werden konnte, mussten die Beamten warten, bis alle Beweisstücke um das Grab herum gesichert waren. Fußabdrücke wurden ausgemessen, fotografiert und in Gips gegossen, der Boden ringsum wurde abgesucht, Erdproben wurden genommen, um irgendetwas zu entdecken, das zur Identifizierung des Grabräubers führen könnte. Die Polizei von Savannah arbeitete Hand in Hand mit dem FBI. Gemeinsam mit einem Agenten namens Haskins, einem extrem dünnen Mann mit sommersprossiger Glatze und Hakennase, leitete Morrisette die Ermittlungen, im Schlepptau stets ein düster und unergründlich dreinblickender Cliff Siebert. Als er Reed sah, verkrampfte er sich sichtlich.
Reed stand in der Nähe in dem hastig errichteten Zelt und wusste mit absoluter Sicherheit, wer das Grab mit Tyrell Demonico Brown teilte, einem weiteren Mitglied der Jury im Chevalier-Prozess.
Wie. Morrisette ihm berichtet hatte, war Tyrell Brown vor knapp einem Monat gestorben. Autounfall ohne Fremdbeteiligung auf der Interstate. Ein geplatzter Reifen in Verbindung mit hoher Alkoholkonzentration im Blut und nicht angelegtem Sicherheitsgurt hatten den siebenunddreißigjährigen Vater zweier Kinder frühzeitig ins Grab befördert. »Ich nehme an, du nimmst jeden, der sich hier blicken lässt, mit der Videokamera auf«, wandte sich Reed an Morrisette.
Sie schoss einen Blick auf ihn ab, der besagte, dass sich die Frage erübrigte. »Ja. Und wir werden die Aufnahmen mit denen von den früheren Tatorten vergleichen, um zu checken, ob wir Ehrengäste hatten.«
»Gut. Und du hast sicher auch Sean Hawke und Corey Seilwood überprüft.«
»Daran arbeiten wir noch.« Mit grimmiger Miene
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