Ewig sollst du schlafen
hatte alle Möglichkeiten gedreht und gewendet und fand doch nichts, außer dass er ein paar Jahre seiner Kindheit dort verbracht hatte. Und dieser Anhaltspunkt gab nicht das Geringste her.
Wütend trommelte sie mit den Fingern aufs Lenkrad. Hier auf dem leeren Parkplatz würde sie der Sache bestimmt nicht auf die Spur kommen. Sie musste bedeutend tiefer gehende Nachforschungen anstellen. Sie drehte den Zündschlüssel und trat aufs Gas. Als der Motor ansprang, blickte sie über die Schulter nach hinten, um rückwärts aus der Parklücke zu fahren, da bemerkte sie in der Hecke, die den Parkplatz säumte, eine Bewegung, eine Silhouette, die geduckt dem Licht der Straßenlaterne auswich. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Sie schaute in den Rückspiegel. Nichts. Sie sah noch einmal über die Schulter, doch in der Hecke zeigte sich nichts Ungewöhnliches.
»Da war nichts«, beruhigte sie sich und entdeckte im selben Moment einen Mann auf der anderen Seite der Hecke, außerhalb des Lichtkegels der Straßenlaterne. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, registrierte aber, dass er in ihre Richtung starrte. Sie beobachtete. Hatte er auf sie gewartet?
War es derselbe Mann, der ihr vor ihrem Gespräch mit Reed aufgefallen war? Als sie den Rückwärtsgang einlegte, war ihr Mund trocken. Was war schon dabei, wenn irgendein Mann in der Nähe des Lokals herumlungerte? Das war schließlich kein Verbrechen. Die Morgendämmerung brach bereits an, Beginn des Berufsverkehrs. Vielleicht wartete der Kerl auf eine Mitfahrgelegenheit, auf seinen Bus, war auf dem Weg zur Arbeit… Vielleicht auch nicht.
Etwas an der Art, wie er da außerhalb des Lichtscheins stand, machte sie stutzig. Sie hatte gespürt, dass sein Blick auf ihr ruhte. Unwillkürlich bekam sie eine Gänsehaut. »Ein Perverser«, flüsterte sie und blickte noch einmal in den Rückspiegel. Er war fort.
Auch auf der Straße keine Spur von ihm. Er war so schnell verschwunden, als hätte sie alles nur geträumt.
»Komm schon, Nikki. Reiß dich zusammen.« Vielleicht ging einfach nur ihre Fantasie mit ihr durch und sie sah schon überall das Böse lauern. All das Gerede über Gräber und Leichen und Mord war ihr wohl zu sehr unter die Haut gegangen. »Oh, das ist gut«, dachte sie laut. »Eine Möchtegern-Reporterin, die über Verbrechen berichten will und es mit der Angst zu tun kriegt wegen eines Kerls, der vermutlich nur auf seinen Bus gewartet hat.« Was war mit ihr los? Eine Konfrontation mit Reed, und schon wurde sie zum Angsthasen? Das war nicht ihre Art. Zügig fuhr sie vom Parkplatz. Niemand beobachtete sie, niemand folgte ihr. Da war nichts. Gar nichts! Und doch …
Abermals schaute sie in den Rückspiegel. Stand er noch da? Außerhalb des Lichtscheins? Beobachtete er sie heimlich aus dem dunklen Gebüsch heraus? Hatte sie nicht gerade eine Bewegung bemerkt?
Kalter Schweiß brach ihr am ganzen Körper aus, und sie trat aufs Gaspedal. Eine Hupe dröhnte.
Sie stieg auf die Bremse und verfehlte nur knapp ein Taxi, das von rechts vorüberraste. Sie hatte den Wagen überhaupt nicht gesehen. Adrenalin schoss ihr ins Blut, ihre Hände umklammerten feucht das Lenkrad, und sie ermahnte sich zur Ruhe. Sie durfte sich die Gelegenheit, diese Story zu knacken, auf keinen Fall entgehen lassen. Auf eine solche Chance hatte sie schließlich schon sehr lange gewartet.
Sie gab Gas, und der Wagen flitzte mit kreischenden Reifen auf die Straße.
Noch ein letzter Blick in den Rückspiegel, aber sie konnte nichts erkennen. Keine Menschenseele.
Lauf, du Miststück
, dachte der Überlebende, der in der dichten Hecke stand. Durch das Gestrüpp hindurch sah er die roten Heckleuchten von Nikki Gillettes Wagen hinter einer Kurve verschwinden.
Du kannst doch nicht entkommen. Mir nicht.
Vor Erregung lief ihm ein Schauer über den Rücken. Vorfreude machte sich in ihm breit. Sie hatte angebissen, und ihr Interesse würde für noch mehr Beachtung in den Medien sorgen, nicht nur bei dem Käseblatt, für das sie arbeitete, sondern auch bei Radio- und Fernsehsendern. Nicht bloß in diesem Kuhdorf im Norden, sondern auch in Atlanta und hier in Savannah. Landesweit würden die Medien das Thema aufgreifen …
Wie er es erwartet hatte, war Nikki Gillette Reed zu seinem Frühstückslokal gefolgt und hatte den Bullen zur Rede gestellt. Der Überlebende hatte die Unterhaltung vom Fenster aus beobachtet. Alles war gelaufen wie am Schnürchen, genau nach Plan. Er stand draußen in der Kälte
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