Ewig sollst du schlafen
Die Wohnung schien unangetastet.
Immer noch nervös ging Nikki achtsam von einem Zimmer ins andere. Alles, einschließlich des teilweise verzehrten Katzenfutters, war so, wie sie es zurückgelassen hatte. In der Kanne befand sich noch kalter Kaffee, ihre Hausschuhe lagen so, wie sie sie von den Füßen geschleudert hatte, neben der Kommode, auf der ein paar Schminkutensilien standen. »Falscher Alarm«, sagte sie zu der Katze und atmete erleichtert auf. Sie überprüfte die Fenster, die allesamt geschlossen waren. »Aber warum war die Wohnungstür offen?«, fragte sie sich laut. Sie zog die Jacke aus und schaltete das Radio ein.
Eine Talkshow,
Mitternachtsbeichten
, lief gerade. Der Gastgeber war eine gewisse Frau Dr. Sam, eine Radiopsychologin aus New Orleans, die jedem Spinner, der über einen Telefonanschluss verfügte, mit Rat zur Seite stand. Nikki erinnerte sich, dass diese Reihe vor ein paar Jahren einen gewissen Grad an Berühmtheit erlangt hatte, nämlich als ein Serienmörder die Straßen von New Orleans unsicher gemacht und Dr. Sam während ihrer Sendung angerufen hatte. Heute Abend sprach sie mit einer Frau, die überlegte, ob sie sich mit einem Mann, mit dem sie im Internet regelmäßig Cybersex hatte, was auch immer das sein mochte, treffen sollte. »Genau das, was wir jetzt brauchen«, murmelte Nikki, kroch ins Bett und streichelte ihre Katze. »Die Perversionen anderer Menschen.« Jennings schnurrte so laut, dass sie die nächste Hörerin kaum verstand. Diese beklagte sich darüber, dass sich ihr derzeitiger Ehemann nicht mit ihrer fünfzehnjährigen Tochter verstand. »Kein Wunder. In dem Alter hab ich mich auch nicht mit meinem Vater verstanden.« Sie zog sich die Bettdecke bis zum Hals und verbannte die Gedanken an ihre rebellischen Teenagerjahre und ihre unglaublich kaputte Familie aus ihrem Kopf. Unter heftigen Gewissensbissen fiel ihr ein, dass sie seit fast einer Woche nicht mit ihrer Mutter gesprochen hatte. »Morgen ruf ich sie an«, schwor sie sich. Sie knipste das Licht aus und kroch noch tiefer unter die Decke. Es war kalt im Zimmer, die Winternacht schien durch die Fenster hereinzukriechen, und Schatten spielten an den Wänden. Nikki schloss die Augen, wälzte sich auf die Seite und schob die Hand unters Kopfkissen. Ihre Finger stießen auf etwas Fremdes, Steifes -Papier.
Was um alles in der Welt …
Sie fuhr hoch, schaltete das Licht wieder an und warf das Kissen zur Seite. Jennings huschte erschrocken unters Bett.
Auf dem blauen Laken lag ein Umschlag. Und erinnerte sie an das Blatt, das unter ihrem Scheibenwischer gesteckt hatte. »O mein Gott«, flüsterte sie voller Panik. Jeden Muskel angespannt sprang sie aus dem Bett. Hastig ließ sie den Blick noch einmal durchs Zimmer schweifen, schaute unter dem Bett und dann im Schrank nach, in dem Wissen, dass jemand, dass ein Fremder in ihrer Wohnung gewesen war. Sie spitzte die Ohren: Sie hörte nichts außer dem Wind, der draußen pfiff, und dem Ächzen und Knarren des alten Hauses.
Ganz ruhig, Nikki. Da ist niemand; kein Mensch befindet sich in deiner Wohnung. Du hast alles überprüft. Die Tür ist abgeschlossen. Die Fenster sind zu.
Und trotzdem stand sie da und zitterte am ganzen Körper. Jemand war tatsächlich in ihre Wohnung eingedrungen. Und hatte eine Nachricht hinterlassen. Zitternd ging sie zurück zum Bett, als rechnete sie damit, dass jemand darunter hervorschoss, obwohl sie wusste, dass dort niemand war. So verängstigt, dass sie kaum klar denken konnte, hob sie den Umschlag auf und öffnete ihn langsam. Die Nachricht sprang sie an:
ES IST VOLLBRACHT.
Laut wiederholte sie den Satz. »Es ist vollbracht. Was? Was ist vollbracht?« Was um alles in der Welt sollte das bedeuten? Und wie konnte jemand in ihre Wohnung einbrechen? Sie ging zur Eingangstür, öffnete sie langsam und hielt Ausschau nach Einbruchspuren am Schloss. Nichts. Doch sie zweifelte nicht daran, dass sich jemand durch diese Tür Einlass verschafft hatte. Ein Unbekannter war in ihre Wohnung spaziert. In ihr Schlafzimmer, hatte ihr Kopfkissen angefasst. Ihr Herz hämmerte wild. Furcht und Zorn hatten sie fest im Griff. Wer tat so etwas? Und warum nahm jemand so viel Mühe auf sich, nur um ihr eine Nachricht zu hinterlassen? Sie stockte. Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Derjenige, der das getan hatte, wollte sie in Angst und Schrecken versetzen. Bemüht, ihre Panik unter Kontrolle zu bekommen, versuchte sie, logisch zu denken. Jemand wollte ihr
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