Ewig
dauerte keine Minute, bis ein junger Pater in schwarzer Soutane hinter den Regalen auftauchte, den wartenden Kommissar erblickte und mit der Frage »Möchten Sie eine Führung?« auf ihn zutrat.
»Kommt darauf an, was für eine Führung Sie meinen, Pater.« Berner stand auf und baute sich vor dem jungen Geistlichen auf. »Eine Führung durch das Drachenviereck? Oder durch die Ruprechtskirche mit besonderer Berücksichtigung der fünf Buchstaben an der Empore?« Der Pater wich vor ihm zurück wie vor einem Geist. Er wischte mit fahrigen Bewegungen Ansichtskarten vom Kassenpult, sah sich suchend um, Panik stieg in ihm hoch. Berner folgte ihm, ließ ihn nicht aus den Augen, drängte ihn in Richtung der überfüllten Bücherregale.
»Sie können mir natürlich auch mehr über den sechszackigen Stern erzählen, über die Todesengel oder vielleicht über Pater Johannes?« Der Geistliche war jetzt leichenblass, stammelte unverständliche Worte vor sich hin, schaute nach rechts zum Ausgang und war schon auf dem Sprung, als die Hand Berners vorschoss und ihn an das Regal nagelte. Ein paar Bücher polterten zu Boden und riefen die Kassiererin auf den Plan. Ein scharfer Blick von Berner ließ sie wieder in ihren Sessel versinken.
Ein nervöses Blinzeln kam in die Augen des jungen Pfarrers, er wiederholte immer wieder »Lassen Sie mich, lassen Sie mich« und der Angstschweiß rann über seine Stirn.
»Ich soll Sie lassen? Was soll ich Sie lassen? Beten?«, fuhr ihn Berner an und zog ihn mit diesen Worten hinter sich aus dem Museum, auf den Platz und von dort sofort wieder durch das Portal der Schotten Kirche vor das versperrte Gitter im Kircheninneren. Der junge Pater war so geschockt, dass er dem Kommissar widerstandslos folgte.
»Aufsperren«, herrschte ihn Berner an und der Geistliche begann fieberhaft in den Taschen seiner Soutane nach dem Schlüsselbund zu suchen, fand endlich den richtigen Schlüssel und musste ihn mit zwei Händen festhalten, um ins Schloss zu treffen. Quietschend schwang das schmiedeeiserne Tor auf und Berner schob den Geistlichen durch das offene Gitter in den Kirchenraum, zog das große Tor hinter sich zu.
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, intonierte der Kommissar und automatisch antwortete der Pater: »Amen.«
»So sei es«, meinte Berner und zog den Zitternden in Richtung Altar hinter sich her, stieß ihn in die erste Bankreihe und pflanzte sich vor ihm auf. »Dann beten Sie, Hochwürden, es ist der richtige Platz dazu. Aber vorher möchte ich ein paar Dinge von Ihnen wissen. Fangen wir mit Ihrer Beziehung zu Bruder Johannes an.« Der junge Geistliche schüttelte den Kopf, seine Bestürzung war Entsetzen gewichen. »Das kann ich nicht, dann bin ich tot, dann holen sie mich …«
»Tot?«, donnerte Berner und beugte sich zu dem Mann im schwarzen Habit hinunter, auf dem sich Schweißflecken abzuzeichnen begannen. »Wenige Stunden nach Ihrem Treffen mit Bruder Johannes hätte der uns beinahe abgeschossen wie auf dem Schießstand.«
Der Geistliche schüttelte immer noch den Kopf, stammelte unzusammenhängende Worte. Berner holte seine Waffe heraus und legte sie neben dem Pater auf die Bank. Der Geistliche begann panisch zu schluchzen.
Berner beugte sich noch tiefer zu ihm. »Können Sie sich vorstellen, wie das ist, wenn einem die Kugeln um die Ohren fliegen, weil jemand Sie für einen Judaslohn verrät? Was haben Sie ihm erzählt?«
Der junge Pater schüttelte immer nur den Kopf.
Der Kommissar richtete sich auf und ging zum Altar vor. Die Hände in die Hüften gestützt, schaute er hinauf zu den Engeln und Heiligen, zu den Allegorien und den Tugenden, den Lastern und den Sünden. Als er sich umdrehte, sah er den Geistlichen, der sich die Pistole in den Mund gesteckt hatte und der nun mit zitternden Fingern abdrückte. Außer einem »Klick« war nichts zu hören. Berner schüttelte den Kopf, ging zu dem entsetzten Priester und nahm ihm die Waffe aus den Händen.
»Sie sind ein Kindskopf! Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde Ihnen eine geladene Waffe in die Hand drücken? Außerdem, Herr Pfarrer, ist Selbstmord eine Todsünde und wird mit ewiger Verdammnis bestraft. Aber bei Ihnen spielt auch das keine Rolle mehr, der siebente Kreis der Hölle ist exklusiv für Verräter reserviert.«
Berner holte das Magazin aus der Manteltasche und schob es in den Griff, bis es einrastete. Dann steckte er den Colt zurück in den Schulterhalfter, nahm den widerstrebenden
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