Ewig
trog. Nach einer Weile des Nachdenkens meinte der Institutsvorstand schließlich:
»Also hast du scheinbar doch Recht gehabt mit deiner unglaublichen Vermutung, Leopold III. wäre ermordet worden, und ich habe dir damals nicht glauben wollen. Tja, das war wohl mein Fehler und glaube mir, Georg, er tut mir leid.« Er beugte sich über seinen überfüllten Schreibtisch und begann etwas zu suchen.
Meitner bemerkte Sinas verwunderten Gesichtsausdruck beim Anblick der Dutzenden Schnellhefter, einem riesigen Stapel ungelesener Diplom- und Seminararbeiten, und kommentierte knapp: »Das ist das Ergebnis von nur zwei Wochen Auslandsaufenthalt. Und die meisten wollen ihre Ergüsse schnell korrigiert und beurteilt haben. Du erinnerst dich daran, Georg? Wir könnten deine Hilfe gut wieder brauchen.«
Sina erinnerte sich in der Sekunde an die Sprechstunden, die verärgerten und fordernden Studierenden, an die Konferenzen, die überbordende Bürokratie und an die endlosen Institutssitzungen und wusste wieder, warum ihm der Abgang von der Universität dann doch eher leichtgefallen war.
Meitner verschob weiter Papiere und Unterlagen, hob Bücher und Prüfungsbögen hoch, bis er schließlich die neueste Ausgabe einer Tageszeitung hervorzog. Auf dem Titelblatt waren Sina, Berner und Wagner nach dem Anschlag zu sehen.
»Du hast es in die Schlagzeilen geschafft, Georg«, lächelte Meitner und wurde dann wieder ernst. »Ich brauche dir nichts über den wissenschaftlichen Betrieb zu erzählen, Georg. Das Institut kann nicht in diese Geschichte involviert werden. Das ist dein Kreuzzug und den nehme ich dir auch nicht weg. Offiziell werde ich mit der Sache nichts zu tun haben, aber ich helfe dir, wo ich kann und vertraue darauf, dass du mich auf dem Laufenden hältst.« Er kratzte sich nachdenklich das Kinn. »Das ist schon eine phantastische Geschichte und weißt du was? Ich bin geneigt, sie dir zu glauben.« Er wiegte den Kopf und fuhr fort: »Über Friedrich brauche ich dir nichts zu erzählen, da weißt du mehr als ich, Georg. Aber in deinen Erzählungen war ein Detail, das mich an etwas erinnerte. Was, sagtest du noch gleich, hatte der geschwärzte Engel in der Karlskirche im Mund?«
»Baumwolle«, erinnerte ihn Sina.
Meitner zog die buschigen Augenbrauen zusammen, lehnte sich in seinem Sessel zurück, dachte angestrengt nach. In dieser Pose wirkte er wieder völlig abwesend, aber Georg kannte sein Gegenüber und wartete schweigend. Plötzlich kicherte der Institutsvorstand, schüttelte heftig den Kopf und wandte sich erneut Sina zu.
»Ich glaube, ich habe es gefunden. Entschuldige mein Lachen, Georg, das hat gar nichts mit dir oder dem armen Mädchen zu tun, aber bei Baumwolle muss ich immer an diese seltsame Miniatur denken.«
»Welche Miniatur meinst du? Vielleicht hilft uns das weiter«, hakte Georg nach.
»Ach, du kennst sie sicher. Es ist dieser Baum, an dem Widder und Lämmer wie Äpfel wachsen. Die Europäer konnten sich nicht vorstellen, wie Wolle aussehen könnte, die auf Pflanzen wuchs und zudem von den alten Chinesen ›Baum-Wolle‹ genannt wurde. Also malten sie die Woll-Lieferanten einfach in die Bäume«, beschrieb Meitner das Bild.
»Aber natürlich!«, rief Sina und schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirne. »Oderich von Portenau«, ergänzte er rasch, es fiel ihm wie Schuppen von den Augen und Wilhelm Meitner stimmte ihm zu. »Ja, genau, der vergessene österreichische China-Reisende kurz nach Marco Polo.«
Die Dame an der Kasse des Museums im Schottenstift erkannte Ärger, wenn sie ihn kommen sah.
Berner hielt sich nicht mit Nettigkeiten auf. »Kommissar Berner von der Kriminalpolizei. Sie haben hier einen jungen Pater, der durch die Ausstellung und Schausammlungen führt. Ich möchte ihn gerne sprechen und ich habe nicht viel Zeit«, sagte Berner und fügte im Stillen hinzu, »weil jede Menge Leute hinter mir her sind.«
Die Kassiererin schluckte nervös und eine ihrer Augenbrauen begann zu zucken. Sie griff zum Telefon und Berner legte sofort seine Hand auf ihre.
»Nein, nein, sagen Sie mir einfach, wo ich ihn finde. Wir wollen doch nicht unnötig Aufsehen erregen, oder?«, meinte Berner gönnerhaft.
»Er kommt gleich hierher, weil seine Führung in fünf Minuten beginnt, Herr Kommissar.«
»Gut, dann warte ich hier auf ihn, bemühen Sie sich nicht weiter, wir können uns ja kaum verpassen.« Berner blickte sich um und setzte sich auf die kleine Besucherbank in Sichtweite der Kasse. Es
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