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Ewig

Ewig

Titel: Ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer , David G. L. Weiss
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toten, kahlen Baumes und er war nicht allein. Auf der Kuppe eines grasbewachsenen Hügels, in unmittelbarer Nähe entdeckte er zu seiner Überraschung Paul Wagner. Er war es, und er war es doch nicht. Pauls Haar hing an seinem Kopf in langen dünnen Strähnen herab, und er trug einen offenen schwarzen Mantel mit einer Kragenverbrämung aus Fischotter. Sein Gesicht war leichenblass. Der Himmel über ihm war silbergrau bewölkt, wirkte unheimlich und bedrohlich. In den Händen hielt Paul einen abgewetzten, in Schweinsleder gebundenen Folianten.
    Wagner schlug das Buch auf und las daraus vor: »Visita interiora terrae rectificando invenies occultum lapidem!«
    Suche die inneren Bereiche der Erde auf, wenn du es richtig machst, wirst du den verborgenen Stein finden!, übersetzte Sina das Vorgetragene in seinen Gedanken.
    Doch dann plötzlich erhob er sich in die Lüfte und die Gestalt Paul Wagners wurde immer kleiner unter ihm. Er wollte etwas sagen, nach dem Freund rufen, aber anstelle seiner Stimme hörte er nur das Krächzen eines Raben. Er blickte an sich herunter und erkannte mit Entsetzen, dass er anstelle seiner Arme schwarz gefiederte Schwingen hatte. Als er noch genauer hinschaute, sah er, dass er auch keine Füße mehr hatte, sondern die Krallen eines Vogels.
    Der kalte Wind toste um ihn herum und scheinbar mühelos glitt er durch das fremde Element, als wäre es für ihn das Vertrauteste und Natürlichste auf der Welt. Er überraschte sich dabei, Gefallen am Fliegen zu finden und er segelte begeistert über weite Felder, nutzte den Aufwind und genoss den Flug.
    Unter sich sah er bewaldete Berge und Hügel, die silbern glitzernden Arme von Flüssen und Bächen und schließlich ein weites Tal, dessen Sohle von Wiesen bedeckt war.
    Es leuchtete rot zu ihm empor und als er näher kam, machte er am Waldrand am Fuße der Berge ein fürstliches Zeltlager aus. Rot-weiß gestreifte Banner flatterten im Wind, Pferde mit farbenprächtigen Decken drängten sich, von Knappen gehalten, um eine Futterkrippe. Sina landete auf einer der Zeltspitzen und erblickte einen bartlosen, leicht untersetzten König mit schulterlangem, gewelltem Haar in einer prachtvollen Rüstung. Anstelle einer Krone trug er einen Lorbeerkranz auf der Stirne. Sina wusste sofort, dies war Matthias Corvinus. Seine Hauptleute und fremde Herolde machten ihm seine Aufwartung. Alle beugten sich danach über einen Tisch mit Karten und beratschlagten aufgeregt. Nur der Feldherr bewahrte die Ruhe.
    Plötzlich drang der Lärm von tausenden Trommeln und Querpfeifen zu ihm. Er wandte sich von Corvinus und den weißen Zelten ab, flog auf und in jene Richtung, aus der dieser orgiastische Tumult zu kommen schien. Je näher er kam, umso mehr wuchsen die schrillen Töne zu einem ohrenbetäubenden Lärm an. Unter Georg wälzte sich der gewaltige Körper einer riesigen Armee über die Ebene.
    Sina verringerte die Höhe, bis er zwischen den schimmernden Spitzen der Lanzen und Piken die Wimpel und Flaggen erkennen konnte. Auf den bunten, sich im Wind aufbauschenden Standarten sah er die weißen Lilien Frankreichs, die goldenen Löwen Englands, den heiligen Georg und den zweiköpfigen Adler Russlands und viele andere heraldische Symbole der alten Welt.
    »Die Könige der Erde haben sich an dieser Stelle versammelt, um gemeinsam eine Schlacht zu schlagen, angeführt von König Matthias Corvinus«, erkannte Georg und flog in großen Kreisen über dem gewaltigen Aufmarsch, um so viel wie möglich von diesem phantastischen Tross zu betrachten. Der Anblick überstieg seine kühnsten Phantasien.
    Bedächtig schwebte er die Schlachtreihen der Reiter und Fußsoldaten entlang, bis er an der vordersten Front angekommen war. Hier marschierten die Landsknecht-Haufen der Eidgenossenschaft, riesige Vierecke von Männern, die einen Wald von Spießen und Piken bildeten.
    Und dann geschah es. Sina war plötzlich kein Rabe mehr, vielmehr steckte er nun in der Rüstung eines der Soldaten in der ersten Schlachtreihe. Er spürte das Adrenalin in seinem Körper, nahm die Welt nur mehr durch den Sehschlitz seines Helmes wahr, spürte das Gewicht eines Kürass auf dem Leib und das Drängen und Stoßen der anderen.
    Mit einem Mal lichtete sich die silbergraue Wolkendecke und gab den Blick auf einen glühenden Stern frei, der einen riesigen Feuerschweif hinter sich herzog. Der Halleysche Komet. Ein Aufschrei des Entsetzens über dieses böse Omen ging durch die gesamte Armee.
    Georg roch die Angst

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