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Ewig

Ewig

Titel: Ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer , David G. L. Weiss
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Pferd«, stichelte Wagner mit einem Blick auf die Fiaker.
    Sina winkte grinsend ab und trat vor ihm durch die offene Tür in das dunkle Innere der Michaeler Kirche. Sofort nahm ihn die einzigartige Atmosphäre dieses ursprünglich romanischen Gotteshauses gefangen. Aus einem der versteckten Lautsprecher ertönte Chorgesang und so gut wie kein Lichtstrahl drang von außen herein. In der schwachen, gelblichen Beleuchtung einiger Hängelampen hatten die Kerzen vor den Altären und Gnadenbildern eine noch intensivere Wirkung. Vor den Seitenaltären knieten scheinbar aufs Innigste ins Gebet vertieft einige Obdachlose. In Wirklichkeit jedoch luden sie mit Billigung des Pfarrers die Akkus ihrer Handys an den Steckdosen der Kirche auf.
    Ein geheimnisvolles Halbdunkel hüllte alles ein und war nur an wenigen Stellen durch helle Flecken, schwachen Lichtinseln in einem dunklen Ozean, unterbrochen. In einem dieser Lichtkreise scharte sich eine Besuchergruppe um eine resolut dreinschauende Führerin, die eifrig mit lauter Stimme die Geschichte und die Kunstschätze der Kirche erläuterte. Ihre Zuhörer versuchten sich mit ständigen kleinen Bewegungen warm zu halten, denn es war in dem Gotteshaus noch viel kälter als draußen. Die eisige Luft schien sich eingenistet zu haben, waberte zwischen den Bänken und Säulen und Wagner ertappte sich bei der Frage, ob Weihwasser einfrieren könnte.
    »Ungemütlich und stockdunkel«, fasste Sina nach einem ersten Blick seinen Gesamteindruck zusammen und ging langsam zum Hochaltar vor. Die Stimme der Führerin begleitete ihn.
    »… aus dem 13. Jahrhundert ist eine der ältesten Kirchen Wiens, Sie ist auch eines der wenigen Beispiele des romanischen Baustils in der Hauptstadt. Genau stammt die ehemalige Pfarrkirche des Hofes aus dem Jahr 1220 …«
    Sina versuchte, ohne über die zahlreichen in den Boden eingelassenen Grabplatten zu stolpern, seinen Weg zum Altar zu finden. Er blickte sich um, doch Wagner war irgendwo im Eingangsbereich zurückgeblieben und verschwunden.
    »… und ich möchte Sie vor allem auf den grandiosen Engelssturz hinweisen, der den Raum über dem gesamten Hochaltar füllt und einer der spektakulärsten dieser Art in Europa ist. Er wurde von Martinelli …«
    Sina stockte der Atem, als er die Figurengruppe über dem Altar erblickte. Viele Dutzend weiße Engel in allen Größen und Gestalten waren über einen dreidimensionalen Stuck-Himmel verteilt und schwebten und stürzten und jubilierten und verblichen in einem Crescendo von barocker Ausschweifung.
    »… in den Grüften, die sich weit über die Grundmauern der Kirche hinaus erstrecken, wurden im Laufe der Jahrhunderte mehr als viertausend Menschen bestattet. Eine klimatische Besonderheit im Inneren der Kirche führte dazu, dass die Leichen mumifizierten und bis heute …«
    Nur mehr mit einem Ohr zuhörend, wanderte Sina entlang der alten Mauern der Kirche und bewunderte die Fresken und die alten Grabplatten.
    »… die nördliche Apsiskapelle wurde 1476 angebaut, nachdem sechsundvierzig Jahre zuvor bereits zwei Kapellen am nördlichen Seitenschiff errichtet wurden. Insgesamt dreiundsiebzig erhaltene Grabsteine zeugen heute noch davon, dass …«
    Paul Wagner hatte Sina nach vorne in Richtung Altar gehen lassen und war nach links, zum zugemauerten alten Eingang der Kirche geschlendert. Nun hörte er die Stimme der Führerin immer leiser werden, während er den Türsturz aus dem 13. Jahrhundert bewunderte, der ein Flammenkreuz mit den fünf Kreuzwunden Christi als zentrales Motiv zeigte.
    Sich umblickend sah er, wie Sina entlang der ausgestellten Grabplatten ging und immer wieder im Dunkel der Kirche mit den Fingern die Namen oder Symbole nachzog.
    »… der Mitte des 14. Jahrhunderts stammt der Triumphbogen zwischen Querschiff und Chorraum, der das Armageddon mit Jesus und seinen Jüngern darstellt …«
    Sina stand wie erstarrt, die Hand auf eine rötliche Grabplatte gelegt. Armageddon. Die Offenbarung des Johannes. Das war einer oder der Hinweis, er war sich ganz sicher. War Armageddon nicht die endzeitliche Entscheidungsschlacht, der Kampf Jesu mit dem Heer der Engel gegen die Könige der Erde? Er nickte. Schon wieder die Engel, überall waren Engel, wo Friedrich war. Hatte sich Kaiser Friedrich nicht einen Engelsharnisch anfertigen lassen, der ihn und sein Pferd schützen sollte?
    Sina betrachtete die Grabplatte, vor der er stand, genauer. Sie stammte aus dem Jahr 1341 und zeigte in der oberen linken Ecke ein

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