Ewig
nur einmal, damals in Deutschland zur Zeit des Reiches. Ich hätte nicht gedacht, dass sich dieser Albtraum wiederholen würde.«
Schwester Agnes verstummte und war in Gedanken weit weg, so als sähe sie durch Zeit und Raum. Dann fuhr sie fort: »Wir haben einen Eid geleistet und wir haben über Generationen etwas bewahrt, das uns anvertraut worden war. Wir haben ein Wissen geschützt, das so mächtig und so fürchterlich zugleich ist, dass selbst weise Männer wie Friedrich davor zurückgeschreckt sind.« Die Nonne lächelte nachsichtig. »Aber auch Kaiser Friedrich war nur ein Mensch und er erlag der Versuchung, den Weg zur Hölle zu beschreiben, ihn auszuschildern für den, der sehen konnte, der seinen verschlüsselten Hinweisen folgen konnte. Er kannte seine Schwäche, er wusste um sie und so bestellte er uns zu den Bewahrern eines Geheimnisses, das doch nicht seines war. Er vertraute uns mehr als sich selbst.«
Kohout nickte und senkte den Kopf.
»Friedrich hatte vor allem Angst, dass niemand mehr das Geheimnis entdecken könnte und es für immer verschollen wäre. Also wohnten zwei Seelen in seiner Brust – er war zerrissen und widersprüchlich wie immer in seinem Leben. Einerseits versteckte er das Geheimnis selbst vor seinem kriegerischen Sohn Maximilian, weil er wusste, dass der das Ende der Welt eingeleitet hätte und nichts und niemand sie mehr hätte retten können, wenn er nicht geschwiegen hätte. Andererseits verbrachte er viele Monate und Jahre damit, geheime Hinweise und komplizierte Rätsel zu erdenken, damit es doch noch eine Möglichkeit gäbe, das größte Geheimnis der Menschheit zu entdecken.«
Schwester Agnes ging ans Fenster und schaute über den Schlossplatz am Prager Hradschin. Die Wolken über Prag wurden dünner und die ersten Sonnenstrahlen glänzten auf den nassen Pflastersteinen des Platzes. »Dann aber, knapp vor seinem Tod, erschien Friedrich alles zu offensichtlich, zu einfach, zu leicht zu lösen. So wandte er sich an unseren Orden. Er hatte Gold genug angehäuft und verfügte, dass die Fugger eine Summe gegen Zinsen zum Verleih erhielten. Aus den Gewinnen flossen Spenden an uns jahrhundertelang, bis heute.« Die Nonne wandte sich um und schaute Kohout fest in die Augen. »Wir haben seit 1493 sein Vermächtnis erfüllt und wir werden auch diesmal nicht versagen, Bruder Franziskus. So wahr uns Gott helfe. Gelobt sei der, der da lebt und herrscht in Ewigkeit.«
»Amen«, antwortete Kohout.
Innere Stadt, Wien/Österreich
A uf dem Weg zur Michaeler Kirche nahe der Hofburg dachte Georg Sina über das Zusammentreffen und die Unterhaltung mit Berner im »Kleinen Café« nach. Er war ihm sympathisch geworden, dieser Kommissar, ein brummiger Kauz mit Moral und Gewissen, der es sich nicht leicht machte. Sina stellte bei dem Spaziergang gleichzeitig fest, dass ihn die Stadt nicht mehr so bedrückte wie noch vor drei Tagen. Er gewöhnte sich langsam wieder an die Menschen, sah sie nicht mehr als ständige Bedrohung seiner Privatsphäre. Während er neben Wagner herlief, schaute er ihn von der Seite an. Paul war wie immer, unkompliziert und stand mit beiden Beinen fest am Boden. Auf ihn war stets Verlass und Sina konnte sich niemanden vorstellen, mit dem er lieber seine Jugend verbracht hätte, als mit ihm. Er war der Bruder, den er niemals gehabt hatte.
Berner jedoch hatte ihn heute überrascht mit seiner schnellen Entscheidung, den Dienst zu quittieren und auf eigene Faust weiterzumachen. Sina hatte es ihm nicht zugetraut, hatte ihn in seiner ruppigen Art verkannt und nur die harte Schale gesehen, nicht den weichen Kern.
Der Wissenschaftler begann den Kommissar zu verstehen und zu schätzen und zum ersten Mal seit Jahren hatte er das Gefühl, dass sein Rückzug von der Welt möglicherweise doch nicht die richtige Lösung gewesen war, eher ein Vertagen der Situation, ein Negieren der Realität, ein Abschieben der Wahrheit.
Sina überlegte auch, dass er bald mit Paul über Clara sprechen musste und vielleicht war es auch besser so. Er schob noch immer zu vieles vor sich her und das hatte Clara schon damals nie gewollt.
Es begann leicht zu regnen, als Wagner und Sina auf den Michaeler Platz einbogen und auf die weiße Kirche zugingen. Dutzende Fiaker, die typischen Wiener Zweispänner, warteten hier auf Kundschaft und die Kutscher waren alle damit beschäftigt, vor dem aufziehenden Regen rasch die Verdecke hochzuklappen.
»Du müsstest dich wie zu Hause fühlen, es riecht nach
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