Ewige Nacht
einem »verfaulten Apfel« gesprochen hatte. Es gab die üblichen biografischen Angaben, aber nichts, was darüber hinausging. Jetzt versuchte man, über die Vatikan-Kontakte der CIA an Informationen zu gelangen.
Die Trockenzeit war im August zu Ende gegangen, und die grüne Landschaft mit ihren dunstverhangenen Tälern sah atemberaubend schön aus. Auch Spuren ehemaliger Krater waren zu erkennen. Die rote, fruchtbare Erde hätte drei Ernten im Jahr gebracht, wäre sie urbar gemacht worden.
Joseph Conrad war vor gut hundert Jahren aufgebrochen, um in Afrika nach den Träumen seiner Kindheit zu suchen. Stattdessen hatte er eine Welt vorgefunden, die gezeichnet war von den Spuren eines der erbärmlichsten Kapitel in der Geschichte der Menschheit. Timo wiederum war aufgebrochen, um einem Verbrechen unfassbaren Ausmaßes auf die Spur zu kommen, und fand nun eine der schönsten Landschaften vor, die er je gesehen hatte.
Was hatte er eigentlich zu finden geglaubt? Den urzeitlichen Vogel Roc, von dem die Europäer im 15. Jahrhundert behauptet hatten, er lebe in Afrika und sei fähig, im Flug einen Elefanten zu tragen? Einäugige Menschen, von denen ein kartenzeichnender Benediktinermönch um 1350 behauptet hatte, sie bevölkerten Afrika?
Ein majestätischer, sanft mäandernder Fluss teilte das satte Grün des Waldes. Es war nicht schwer, sich vorzustellen, dass diese großartige Natur unendliche Reichtümer barg: Wolfram, Beryllium, Nickel und Zink. Zur Grenze nach Uganda hin war Gold der wichtigste Bodenschatz; die dunkelroten Hänge am Kanshi-Fluss nordwestlich von Lubumbashi bargen das weltweit zweitgrößte Vorkommen an Industriediamanten. Nicht weit entfernt lag außerdem das Uranvorkommen von Shinkolobwe, das mittlerweile das weltweit wichtigste war.
Wonach auch immer man im Laufe der raschen technischen Entwicklung suchen konnte – in der Erde des Kongo fand man es, selbst das seltene Tantal, das die Mobiltelefonindustrie benötigte. Wie konnte ein so reiches und schönes Land gleichzeitig so feindselig, chaotisch und erbärmlich sein? Warum hatten die Staaten, die sich aus den Klauen des Kolonialismus befreien konnten, so schnell die Hoffnung und jeden Ehrgeiz verloren und erstickten nun in Kriegen, Tyrannei und Armut? Warum kamen die Menschen nicht zur Ruhe?
Bilder der dunklen Seite Afrikas schwirrten Timo durch den Kopf: Hutu-Mütter in Ruanda, die ihre Kinder töteten, weil ihr Vater Tutsi war. Bokassa, der seinem Koch Anweisungen zur Zubereitung seiner Opfer gab. Liberianische Rebellen, die ihren früheren Präsidenten folterten. Aids hatte hier seinen Anfang genommen, ebenso das Ebola-Virus. In gewisser Weise war es bezeichnend, dass die Atombombe, die auf Hiroshima abgeworfen wurde, aus kongolesischem Uran gemacht worden war.
Dieser Gedanke kreiste in Timos Kopf. Er versuchte sich an das zu erinnern, was er über die Herstellung von Atomwaffen gelesen hatte. Wo hatte die Sowjetunion sich das Uran für ihr Waffenprogramm besorgt? Im Kongo? Möglicherweise. War es von Bedeutung, dass die in Russland gestohlene Kernladung aus kongolesischem Uran hergestellt worden war, das jetzt vielleicht als fertige Bombe in den Kongo zurückkehrte?
Die Maschine überquerte den Fluss, und auf einmal war eine Wunde im üppigen Grün der Hügellandschaft zu erkennen: eine offene Grube, an deren Rändern verfallene und eingestürzte Gebäude standen. Ein Teil der Fabriken und Bergwerke, die die Belgier errichtet hatten, war bereits zerstört worden, als der Kongo selbstständig wurde, ein Teil erst zwanzig bis dreißig Jahre später, zu Mobutus Zeiten.
Es war die Ironie des Schicksals, dass der Raubzug, den Leopold II. begonnen hatte, gut hundert Jahre später ausgerechnet von einem Kongolesen namens Joseph-Désiré Mobutu zu Ende geführt wurde. Beide hatten die Bevölkerung und den Staat, den sie »regierten«, betrogen. Im Jahr 1908 hatte Leopold noch das Letzte aus dem Kongo herausgepresst, als er das Land in einem komplizierten Handel an den belgischen Staat verkaufte.
Anschließend hatte er sämtliche Dokumente über den Kongo aus den Archiven entfernen und vernichten lassen. Das Verbrennen der Unterlagen in den Öfen des Laekener Schlosses hatte acht Tage gedauert. Unter der Herrschaft des belgischen Staates wurden die Bodenschätze des Kongo mit dem rücksichtslosen Einsatz der Einheimischen noch umfassender ausgebeutet, das Leben eines Kongolesen hatte den Wert eines Produktionsmittels. Allein in den
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