Ewige Nacht
drückte Timo zur Bestätigung den Knopf an der Seite des Geräts. »Nichts Besonderes. Ich soll ins Büro kommen.«
Er erhöhte das Tempo und schaltete das Radio ein. Noch nie zuvor hatte er dieses Kommando erhalten. Am 11. September 2001 wäre es vermutlich erteilt worden.
Die Straße gabelte sich in Richtung ankommende und abfliegende Maschinen. Timo hätte am liebsten angerufen und gefragt, was passiert war, aber das war absolut verboten – man musste am Arbeitsplatz erscheinen, und zwar umgehend.
Aus dem Radio ergoss sich der träge französische Wortstrom eines Journalisten. Timo begann unter den Achseln zu schwitzen. Er wählte Reijas Nummer, aber sie meldete sich nicht.
»Wen wolltest du anrufen?«, fragte Aaro wachsam.
»Reija. Die Maschine hat wahrscheinlich Verspätung.«
»Jetzt könnte man es schon wieder gebrauchen.«
»Was?«
»Ein Telefon, mit dem man ins Netz kann. Die ankommenden Flüge direkt aufs Handy. In Echtzeit.«
»Wir können mal darüber nachdenken«, antwortet Timo ausweichend. Er hatte das Gefühl, Aaros Erlebnisse auf dem Schiff irgendwie wieder gutmachen zu müssen, auch wenn es fragwürdig war, das ausgerechnet durch den Kauf irgendwelcher Geräte zu tun. Wenn das hier vorbei war, würde er seinen Freizeitausgleich nehmen und die Zeit mit Aaro verbringen.
Sie fuhren an einem schreiend roten Reklameplakat von Virgin Express entlang auf die Terminals zu. Unten bei den ankommenden Flügen war abends immer viel Betrieb, weshalb Timo auf die obere Ebene des Parkdecks zum Abflugbereich fuhr. Wenn er morgens zum Flughafen kam, machte er es umgekehrt.
Er schlug die Tür zu, drückte am Schlüsselbund den Knopf für die Zentralverriegelung und ging mit großen Schritten auf den Eingang des Terminals zu.
»Was rennst du so?«, fragte Aaro, der Mühe hatte, mit seinem Vater Schritt zu halten. Als sie die automatische Tür passierten, versuchte Timo wieder, Reija zu erreichen. Noch immer keine Antwort. Sie gingen unter dem Doppeldecker hindurch, der zur Zierde an der Decke hing, und steuerten die gläsernen Aufzüge in der modernen Abflughalle an.
»Ich verstehe nicht, wieso wir ein Au-pair-Mädchen brauchen«, sagte Aaro außer Atem und drückte auf den Knopf im rostfreien Stahl. »Ich bin doch kein Baby mehr.«
»Sie kommt ja nicht bloß deinetwegen. Deine Mutter hat Angst, unser Männerhaushalt könnte dazu führen, dass sie an den Wochenenden ausschließlich mit Wäschebergen und Chaosbeseitigung befasst ist.«
Aaro schnaubte. Aber vermutlich hatte seine Mutter Recht.
Der Aufzug brachte sie in die niedrige, heiße Ankunftshalle, wo sie schnell zu den Monitoren liefen.
»AY 817. Vorzeitig gelandet. 18.03«, las Aaro und sah auf die Uhr. »Vor einer Viertelstunde.«
Noch einmal versuchte es Timo auf Reijas Nummer. Keine Antwort.
Sie mischten sich unter die Abholer und blickten hinter die Absperrung, wo Reisende mit ihren Gepäckwagen aus dem Terminal strömten. Ein Teil von ihnen hielt nach Abholern Ausschau, andere eilten zielstrebig auf die Taxischlange oder die Bushaltestellen zu. An der Zusammensetzung der Reisenden sah man die engen Verbindungen Belgiens nach Afrika. Aaro beobachtete einen bunt gekleideten Schwarzen, der auf seinem Gepäckwagen voller Kartons und Koffer seinen gesamten Hausrat zu transportieren schien. Der Gepäckberg war wesentlich höher als der Mann selbst.
»Hoffentlich hat Reija nicht so viel Gepäck dabei«, sagte Aaro.
»Zuerst müssen wir sie mal finden.« Allmählich wurde Timo ernsthaft nervös. Er müsste längst bei TERA sein. »Schau dich um. Ich habe keine Ahnung, wie sie aussieht.«
»Ich auch nicht.«
»Du hast sie doch gesehen!«
»Auf ihr Gesicht hab ich nicht so geachtet. Ich hab mir ihr Telefon angeschaut.«
Timo seufzte und sah sich im Gewimmel um.
»Sie war ein bisschen so geschminkt wie Ville Valo von HIM. Schwarz um die Augen.«
Timo hatte nicht die geringste Ahnung, wer Ville Valo von HIM war oder wie der Herr aussah, aber Aaros Beschreibung klang nicht gerade viel versprechend.
Da zog ihn Aaro am Ärmel.
»Auf der Bank da drüben«, sagte der Junge mit einer Kopfbewegung in Richtung Tür. »Die Frau sieht Reija ähnlich …«
Timo starrte kurz in die Richtung, in die Aaro deutete. Er sah auf der Bank keinen Menschen, der nach Au-pair aussah. »Welche von denen?«
»Die ganz außen.«
»Mach keine Witze. Mir steht jetzt nicht der Sinn danach.«
Aaro antwortete nicht.
Langsam näherte sich Timo der jungen Frau mit
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