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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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erleichterten.
    »Kennst du den Witz von Bush, Chirac und Kabila im Flugzeug, das sich im Nebel verirrt hat?«, fragte Picard und redete gleich weiter, nachdem er einmal in Fahrt gekommen war. »Bush hält die Hand aus dem Fenster und sagt: ›Ich fühle den Kopf der Freiheitsstatue, wir sind in Amerika.‹ Das Flugzeug macht einen Bogen, und Chirac streckt die Hand hinaus. ›Ich fühle den Eiffelturm, wir sind in Frankreich.‹ Nach einer Weile hält Kabila die Hand in den Nebel. ›Jetzt sind wir im Kongo‹, sagte er. ›Woher weißt du das?‹, wollen die anderen beiden wissen. ›Jemand hat mir gerade die Rolex geklaut ‹ , antwortete Kabila.«
    Zwei Männer, jeder so groß wie ein Kleinwagen, kamen ihnen entgegen und warfen ihnen misstrauische Blicke zu.
    »Weißt du, wie sie uns in ihrer Sprache nennen?«, fragte Picard leise. »Der Weiße ist mwana Maria , ein Kind der Jungfrau Maria. Belgien ist lola , das Paradies. Und Europa heißt mikili , das gelobte Land. Um hierher zu kommen, sind sie zu allem bereit. Das Ziel eines jeden Kongolesen besteht darin, aus dem Kongo herauszukommen. Und du willst ausgerechnet dorthin.«
    »Eigentlich müsste man die Einreise für Kongolesen nach Belgien erleichtern, wenn man bedenkt, was dort seinerzeit geschehen ist.«
    »Was willst du damit sagen?«
    Timo bereute seine Bemerkung, er war ja auf Picard angewiesen. »Nichts. Wer ist dieser Jagger?«
    »Er besitzt eine Pension, kennt jeden und weiß alles über den Kongo. Und das ist viel, wenn man bedenkt, wie schnell sich dort alles ändert.«
    Vor ihnen ragte eine heruntergekommene Immobilie auf, an der ein nachgedunkeltes Schild mit der Aufschrift M AISON A FRICAINE angebracht war.
    »Von Zaventem kommen die Leute direkt aus der Kinshasa-Maschine hierher. Bei kürzeren Besuchen nutzen sie sein Haus als Stützpunkt, und wenn sie länger bleiben, suchen sie sich von hier aus eine Wohnung.«
    Timo stieg die Treppe zu der Herberge hinauf, die wenig Komfort, aber viel Leben bot. Auf einer abgenutzten Polstergarnitur saß eine Gruppe junger lebhaft diskutierender und lachender Kongolesen, das Treppenhaus war erfüllt von melodischen Lingala-Rhythmen. Diese Musik lief sogar in den Nachtclubs von London und Paris, sie war derzeit das erfolgreichste Exportprodukt des Kongo. Im Speisesaal ließen sich einige ältere Menschen ihr Essen schmecken: »Huhn in Erdnusssoße und Nilbarsch in Palmblättern« stand mit Kreide auf einer Tafel.
    Ein Kongolese in T-Shirt und Jeans kam ihnen entgegen. Als Timo seinen Mund sah, wunderte er sich nicht mehr, warum Picard den Mann Jagger nannte.
    »Salut«, sagte Jagger und gab ihnen lächelnd die Hand.
    Picard stellte Timo als finnischen Freund vor, und alle drei gingen in ein Hinterzimmer. Dort hingen Konzertplakate an der Wand, unter anderem von Papa Wemba und Pépé Kallè. An einer anderen Wand hing eine Weltkarte der belgischen Fluggesellschaft Sabena , auf der die Flugrouten eingezeichnet waren.
    Picard plauderte mit Jagger, und Timo blickte nervös auf die Fuji-Reklameuhr.
    »Mein finnischer Freund will in den Kongo und brauchte dringend ein Visum«, sagte Picard.
    »Wie dringend?«
    »Bis morgen.«
    »Das ist nicht leicht.«
    »Er hat Geld.«
    Jagger griff zum Telefon. »Könnt ihr es in der Botschaft in der Rue Marie de Bourgogne abholen?«, fragte er, während er die Nummer wählte.
    »Ja.«
    Eine Stunde später saß Timo bei Doktor Leclerq in Etterbeek. In der Hand hielt er Gammaglobulin-und andere Impfampullen, die er aus der Dienst habenden Apotheke besorgt hatte. Leclerq war einer der Ärzte, die für TERA arbeiteten, seine Praxis war direkt an seine Wohnung angeschlossen.
    »Der Kongo ist streng in diesen Dingen«, sagte der Arzt ohne ein Lächeln hinter seinem Schreibtisch. Er hatte sich einen Kittel über die Freizeitkleidung gezogen.
    Timo las das französische Formular, auf dem er Kreuzchen machen sollte. »Wegen einer kleinen Wunde an der Seite habe ich heute eine Tetanusspritze bekommen.«
    »Das Problem ist die Gelbfieberimpfung. Die hätten wir vor zwei Wochen veranlassen müssen.«
    »Ich muss einen dringenden dienstlichen Auftrag erfüllen.«
    Sie schwiegen, während der Arzt Timo die Impfungen verpasste.
    »Ich werde das kein zweites Mal für Sie tun«, sagte Leclerq und trug auf dem Formular ein drei Wochen zurückliegendes Datum ein. »Sie reisen auf eigene Verantwortung.«
    »Danke«, sagte Timo leise, obwohl er nicht wusste, weshalb er für eine Reise in den Kongo

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