Ewiger Schlaf: Thriller
Zeit, in der ich mit dir zusammen war. In solchen Augenblicken weiß man, welche Dinge wichtig sind. Die, ohne die du nicht leben kannst.«
»Deine Tagebücher?«
Sie nickte. »Die waren mir am wichtigsten. Ich hatte erwartet, sie in meiner Schublade zu finden, aber da waren sie nicht. Ich habe das ganze Haus durchsucht, konnte sie aber nicht finden. Dann ging ich auf den Dachboden. Wir hatten einen begehbaren Dachboden im zweiten Stock, erinnerst du dich? Ich fand die Tagebücher in einer Box mit Glasdeckel an der hinteren Wand. Es war hell da oben, also fing ich an zu lesen.«
Waters glaubte, Tränen in ihren Augen schimmern zu sehen.
»Zu lesen, was ich vor so langer Zeit geschrieben hatte ... es war das genaue Gegenteil dessen, was ich in meinem Zimmer empfunden hatte. Ich fühlte mich lebendiger als seit jener Nacht, in der ich in New Orleans vergewaltigt wurde. Dort war meine wahre Seele, direkt vor mir, auf diesen beschriebenen Seiten. Während ich las, bemerkte ich etwas Seltsames an der Wand. Die Kante eines Bretts stand heraus. Aber es war nicht verzogen. Das Brett stand angelehnt dort. Ich nahm es weg und entdeckte eine Nische dahinter. Darin lag ein Buch. Ein großes Buch. Ein Fotoalbum.«
»Was war darin?«
»Als ich es öffnete ... ich sah Bilder eines nackten Mädchens. Zuerst hielt ich es für normale Pornografie. Dann sah ich, dass ich das Mädchen war.«
Abscheu ließ Lilys Körper erzittern. » Ich, Johnny. Ich war ungefähr zwölf Jahre alt und stand im Badezimmer. Meinem eigenen Badezimmer. Ich blätterte durch die Seiten und sah noch mehr Bilder von mir, im Alter von elf bis zwanzig Jahren. Ich war immer nackt oder halb nackt und immer im Badezimmer. Sämtliche Fotos waren aus dem gleichen Winkel aufgenommen. Später fand ich das Loch in der Wand, durch das er fotografiert hatte. Da waren auch Bilder von meinen Freundinnen. Von jeder, die irgendwann einmal bei mir übernachtet hatte. Als ich diese Bilder sah ... da wusste ich, dass ich Recht gehabt hatte mit dem, was ich als Kind empfunden hatte. Dinge, für die ich mich selbst bestraft hatte, weil ich sie von meinem Vater dachte ... verstehst du? Ich fühlte mich vergewaltigt. Vom eigenen Vater. Und ich wusste, was er mit diesem Buch tat. Er schlich in all diesen Jahren hier hinauf und ... du weißt, was er tat. Ich könnte mich übergeben, wenn ich nur daran denke.«
Waters erinnerte sich an Ben Candlers merkwürdige Verbindung aus Arroganz und gekünstelter Freundlichkeit.
»Weißt du nicht mehr, wie er Fotos von allem und jedem gemacht hat?«, fragte Lily. »Von jedem Fußballspiel, jedem Pfadfinder-Treffen, jeder Schulaufführung. Aber das waren nicht die Bilder, auf die er es wirklich abgesehen hatte.«
»Was hast du mit dem Buch getan?«
»Ich habe es dorthin zurückgelegt, wo ich es gefunden hatte.«
»Warum?«
»Ich ging wieder zu Eve nach Hause und dachte darüber nach. Ließ es sacken, wie man so sagt. Und dann, drei Tage später, ging ich zurück. Aber diesmal nahm ich eine Waffe mit.«
Waters’ Magen krampfte sich zusammen. »Warum?«
»Ich wusste, dass er es leugnen würde. Ich ging am Bridge-Tag meiner Mutter, das war sein freier Nachmittag. Ich wartete in der Küche auf ihn. Als er hineinkam, sah er Eve Sumner, die Immobilienmaklerin, mit einem Gewehr vor sich stehen.«
»Was hat er getan?«
»›Was ist los, Miss Sumner?‹«, rief Lily mit hysterischer Stimme. »›Sind Sie in Schwierigkeiten? Verfolgt Sie jemand?‹ Ich lachte und sagte: ›Nein, ich will nur mit Ihnen sprechen.‹ Er fragte, worüber. ›Ihre Tochter‹, sagte ich ihm. ›Meine Tochter ist tot‹, sagte er. ›Sind Sie da ganz sicher?‹ fragte ich. Er sagte, das sei keine angemessene Unterhaltung. Er bat mich, sein Haus zu verlassen. Ich weigerte mich. Ich sagte: ›Ich möchte mit Ihnen darüber sprechen, dass Sie Ihre Tochter sexuell belästigt haben.‹«
»Himmel.«
»Er sah mich fassungslos an, warf mich aber nicht hinaus, sondern fragte mich, wovon ich spräche. Ich sagte, ich wüsste von den Fotos, die er in all den Jahren gemacht hatte. Sein Gesicht wurde kalkweiß, Johnny. Ich war wie der Geist der vergangenen Weihnacht. Er sagte mir, ich solle mich zum Teufel scheren ... aber du hättest sehen sollen, wie er mich anstarrte. Ich wusste, was er dachte. Er fragte sich, ob ich eins der Mädchen war, die bei seiner Tochter übernachtet hatten. Er sagte, er würde die Polizei anrufen, wenn ich nicht ginge. Dann öffnete ich die
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