Ewigkeit
Zentrum von Kultur und Wissenschaft in der Westlichen Welt. Sie hatte in Alexandreia viel zu lernen – wenn die Umstände so waren, daß sie überhaupt studieren könnte.
Das älteste intakte Gebäude im ganzen Mouseion, die ursprüngliche Zentralbibliothek, beherbergte jetzt die Verwaltungsbüros und akademischen Quartiere. Einst war es prächtig und lieblich gewesen. Jetzt sah es etwas ramponiert aus, obwohl immer noch eindrucksvoll, drei Stockwerke aus Marmor und Onyx, dekoriert mit durch Goldblätter verkleideten Bossen und tausendjährigen Grotesken aus der Zeit der zweiten Okkupation während des Dritten Parsa-Aufstandes. Platten aus hellerem Marmor waren vor weniger als fünfzig Jahren hinzugefügt worden, um von der Zeit beschädigte Wände zu reparieren. Bisher hatte noch keine der libyschen Raketen, die auf das Delta fielen, das Gelände des Mouseions getroffen.
Der Weg führte durch einen Torbogen in den Hof mit poliertem Pflaster aus Granit und Onyx, das schachbrettartig angelegt war, mit exotischen Pflanzen aus Aithiopia und der Großen Südsee in den Ecken, sowie einer arsakidischen Parsa-Fontäne mit steinernen Löwen im Zentrum.
Der Wagen hielt an, und sie stieg aus. Ein kleiner junger Mann in einer schwarzen Tunika und Beinlingen teutonischen Stils – derzeit eine beliebte Straßenmode in der Stadt – kam herbei mit einem breiten, zähneblitzenden Grinsen in dem schmalen braunen Gesicht. Er sagte: »Ich bin sehr erfreut, die Enkelin der Sophe Patrikia kennenzulernen.« Er machte eine leichte Verbeugung und legte die Hand grüßend über den Kopf. »Mein Name ist Seleukos, und ich stamme aus Nikaea nahe Hippo. Ich bin Assistent des Bibliophylax. Willkommen in der Bibliothek!«
»Vielen Dank!« sagte Rhita. Er verbeugte sich noch einmal und winkte ihr zu folgen. Sie schloß kurz die Augen und prüfte den Zustand ihres Schlüsselbeins – es hatte sich nicht bewegt oder genähert – und ging dann hinter dem jungen Mann her.
Das Büro des Bibliophylax im Erdgeschoß war für seine Stellung nicht groß. Drei Sekretäre arbeiteten emsig an einem Dreieck aus Pulten in einer Ecke unter dem Licht eines offenen Fensters. Neben ihnen war eine bis zur Decke reichende Presse mit Papierstapeln überflutet. Ein großer elektrischer Graphomechanos summte und klickte auf einem schweren Holzgestell neben der Presse. Der Bibliophylax selbst arbeitete hinter einem vielteiligen handgeschnitzten judaischen Wandschirm unter dem größten Fenster des Raumes in der entgegengesetzten Ecke. Der junge Mann führte Rhita höflich hinter den Schirm.
Der Bibliophylax hob seinen geschorenen Kopf und musterte sie kühl. Dann deutete er ein ganz schwaches Lächeln an. Er stand auf und fuhr sich mit der Hand über den Kopf. Rhita machte es genauso und nahm auf seine Bitte hin in einem weißen Rohrstuhl Platz.
»Kann ich mich darauf verlassen, daß in Ihrer Unterkunft alles in Ordnung ist?« fragte er. Sie nickte, um sich nicht über Kleinigkeiten zu beschweren. »Es ist eine Ehre, Sie hier zu haben.« Er holte eine Akte hervor – ein fingerdickes Papierbündel zwischen zwei Kartondeckeln – und zog ein langes Dokument heraus. Sie erkannte es als eine Kopie ihrer Studien an der Akademeia mit beigefügtem Fortschrittsbericht. »Sie sind wirklich eine hervorragende Studentin, besonders auf dem Gebiet der Mathematik und Physik, wie ich sehe. Und Sie haben hier einen ähnlichen Studienplan gewählt. Unsere Professoren haben Ihnen viel zu bieten.
Schließlich sind wir eine viel größere Institution als die Akademeia, und wir holen unsere Lehrer von überall aus der Oikoumene und sogar von außerhalb.«
»Ich warte darauf, daß ich meine Studien beginnen kann.«
»Eine Sache interessiert mich. Sie haben noch vor Ihrer Ankunft eine ungewöhnliche Bitte geäußert«, bemerkte der Bibliophylax. »Außer Ihrer Zuweisung in das Büro des Mechanikos Zeus Ammon Demetrios, die an sich schon ungewöhnlich ist, wünschen Sie eine private Audienz mit der Kaiserlichen Hypselotes. Können Sie mir den Grund dieses Besuches bei ihr mitteilen?«
Noch ehe Rhita sprechen konnte, hob der Mann eine Hand und sagte: »Das geht auch uns an, denn wir kümmern uns um das Wohlergehen aller Studenten im Mouseieon.«
Sie schloß den Mund, wartete einen Augenblick und sagte dann: »Ich überbringe eine private Botschaft meiner Großmutter.«
»Die ist verstorben«, bemerkte der Bibliophylax mit ausdrucksloser Miene.
»Durch meinen Vater. Eine
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