Ewigkeit
schwächsten waren. Binnen fünfzig Jahren war jenes Reich wie ein Traum aus Blut und Rauch verschwunden, und die Skythen und Nordischen Rus waren in das Vakuum eingedrungen. Die Alanen und Avaren hatten schließlich ihren Grund und Boden östlich des Kaspischen Meeres gehalten, und ebenso die Hunnoi nördlich und östlich von ihnen. Tausend Jahre lang waren diese Gebiete in Bewegung gewesen, hatten aber ihre Gestalt im ganzen bewahrt – bis zum Erscheinen der Aigaischen Turkmenoi, der Piraten und Verwüster von Hellas.
Die Turkmenoi hatten sich eine eigene Nische geschaffen und ihre seeräuberischen Absichten zum Kaspischen Meer getragen. Und über dieses leicht gebirgige Gelände zwischen den Altaischen Republiken flog jetzt der Hubschrauber. Die Turkmenoi erkannten niemand als überlegen oder Herren an. Sie sonderten sich ab und bemühten sich, Eindringen von außen zu verhindern. Es würde keine Gnade für das Flugzeug geben, falls man sie zur Landung zwingen sollte. Aber es war unwahrscheinlich, daß die Turkmenoi über geeignete Waffen verfügten.
Rhita sah auf die Hunderte von Meilen breiter nackter Berge, die unten dahinzogen, und fühlte sich einsamer als je zuvor. Sie erkannte die Wandelbarkeit menschlichen Denkens und menschlicher Geschichte, die Widersprüche von Kulturen, die so wenig festzulegen waren wie diese Gebirgspässe und Felsnadeln; und es schien, daß die Menschen nie eine gemeinsame Wahrheit anerkennen würden. Das bedeutete, es gab entweder keine einzige Wahrheit, oder die Leute würden einander umbringen im Bemühen, sie zu finden… Beide Möglichkeiten machten ihr Kummer.
Ihre Fröhlichkeit einige Stunden zuvor war einem finsteren Unbehagen gewichen. Sie war erschöpft. Der Schlaf im Flugzeug bot keine Erfrischung, begleitet von dem endlosen Gebrüll der Düsentriebwerke. Auch ihr Magen war wieder gereizt. Sie fühlte, daß es nicht sicher war, noch etwas zu essen, obwohl sie Hunger hatte. Sie beklagte sich über nichts, aber der Flug zog sich immer weiter hin…
Sie tankten im Fluge noch nahe der nordwestlichen Grenze von Turkmenia. Das war ein interessanter Vorgang, so wenig sie davon auch sehen konnte. Der Tanker schwenkte von ihrer Gruppe ab und flog nach Raghae zurück. Ihnen blieb das Lastenflugzeug als Begleiter. Trotz ihrem Unbehagen mußte Rhita einräumen, daß die Expedition bisher gut verlief.
Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken heim. Sie hatte hinsichtlich der Oikoumene nie einen bestimmten Gedanken gehabt. Sie war immer da gewesen und schien unsterblich zu sein. In ihrem Leben hatte es niemals ein Unglück gegeben, das so umfassend genug gewesen wäre, ihrer Welt etwas anzuhaben. Allerdings hatte Rhodos erst achtzig Jahre lang in Frieden gelebt. In ihrer Jugend war sie in großen, von Regenwasser gefüllten Narben im Gebirge geschwommen. Das waren Granattrichter aus Bombardements, die älter waren als fast jede noch lebende Person. Aber wenn die Königin selbst in Gefahr war…
Die ganze Oikoumene konnte ihren Charakter ändern. Es könnte nicht ein Heim geben, zu dem sie zurückkehren könnte. Rhita rutschte auf ihrem Sitz hin und her und dachte an Krieg, Revolution und Tod.
Das Gebirge unten wich ockerfarbenen Ebenen mit kahlen runden Hügeln und felsigen Vorgebirgen. Das Ocker wurde zu grünen Flecken, und lange grüne Streifen säumten flache Flußbetten. »Wir haben die südlichen Grenzen der Hunnos- und Alanos-Republiken passiert«, sagte Oresias und kam vom Cockpit zurück.
Zwanzig Minuten lang glitten sie in Bodennähe dahin. Atta wirkte besonders irritiert. Er schüttelte den Kopf und schlug sich mit den Händen verzweifelt auf die Knie, indem er darauf wartete, daß die uzbekischen und kasachischen Wachtürme sie entdeckten. Aber es gab keine Abwehr. Offenbar waren sie durchgekommen – entweder unbemerkt oder als ein Lichtfleck, der zu klein war, um ernst genommen zu werden.
»Eine Stunde«, sagte Oresias. Die Triebwerke dröhnten, und der Wind brauste vorbei; er pfiff auch durch Spalten in der Hülle des Flugzeugs. Rhita versuchte wieder zu schlafen, konnte aber nur die Augen schließen, ohne Vergessen zu finden. Ihr tat alles weh wegen der Spannung und des Bemühens, ihr Unbehagen zu verbergen. Die Männer saßen ruhig wie Statuen mit finsterer Miene. Wenn der Apparat manövrierte oder in ein Luftloch geriet, schaukelten sie im gleichen Takt vor und zurück.
Wie konnte sie sich so beklommen und zugleich gelangweilt fühlen? Sie könnte sterben und
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