Ewigkeit für deine Liebe
sie so verwundbar zu sehen, könnte ihm durchaus die Kraft nehmen, sich abzuwenden und wieder zur Tür hinauszugehen.
Zweimal stampfte er den Korridor wieder hinunter. Seine Bewegungen waren immer noch geräuschlos, doch das Stampfen ließ ihn sich irgendwie besser fühlen. Aber zweimal kehrte er auch zurück, um vor Emmas Tür stehen zu bleiben. Vor dieser gottverdammten Tür, die direkt zu ihr führte ...
Außerstande, sich zu bremsen, glitt Christian durch das sechs Zentimeter dicke Eichenholz. Er kannte die Einrichtungen aller Zimmer in dem Haus, wusste also genau, wo Emma schlief und ging geradewegs zu ihr. Er fand es komisch, dass er, nachdem er doch vorhin kaum einen Schritt von ihr entfernt gewesen war, solche Mühe hatte, sie anzusehen, wenn sie schlief.
Aber schließlich tat er es.
Und der Druck in seiner Brust ließ ihn nach Atem ringen.
Das gedämpfte Licht der Nachttischlampe fiel auf ihr Gesicht, das Buch, das sie gelesen hatte, lag auf ihrer Brust. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, und lange, dunkle Wimpern streiften ihre Wangen. Ihr Gesicht war fast schmerzlich schön, ihre Haut hell und makellos. Genauso, wie er sie von ihrer allerersten Begegnung in Erinnerung hatte.
»Pass auf!«, brüllte Gawan.
Christian fuhr zurück, und Gawans Klinge verfehlte um weniger als eine Handbreit seinen Bauch. Sein Blick verweilte jedoch bei dem, was ihn von dem Fechten abgelenkt hatte. Wortlos stieß er seine Klinge in den Boden und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.
»›Was ist mit dir, Mann?«, fragte Gawan.
Christian antwortete nicht. Er konnte es nicht. Wie denn auch, wenn seine verdammte Zunge sich praktisch um sich selbst gewickelt hatte? Sein Blick folgte den drei Pferden, die durch das Torhaus kamen. Oder vielmehr dem Mädchen, das aus einem granatfarbenen Umhang herausspähte und seinen Blick erwiderte.
»Ach, vergiss es«, brummte Gawan, als auch er sein Schwert in die Erde rammte und sich auf seinen Griff stützte. Dann schwenkte er eine Hand vor Christians Augen. »Es ist verdammt gut, dass das Mädchen dir nicht auf einem Schlachtfeld erschienen ist. Dann wärst du jetzt nämlich tot.«
Christian hörte die Scherze seines Freundes kaum. »Sie ist wunderschön«, sagte er, mehr zu sich selbst als zu Gawan. Das blasse, makellose Gesicht des Mädchens hob sich scharf von der dunkleren Farbe ihres Umhangs ab, und blaue Augen erwiderten seinen Blick mit einer solchen Intensität, dass Christian alle Kraft zusammennehmen musste, um sich auf seinen plötzlich weichen Knien zu halten. Als sie den steinernen Bogen passierte und ihm ein Lächeln schenkte, bei dem ihre weißen Zähne aufblitzten, verkrampfte es Christian den Magen. Er sah ihr nach, bis sie verschwunden war; dann riss er sein Schwert aus der Erde, schob es in das Gehenk über seiner Schulter und begann dem Mädchen nachzugehen.
»Wo willst du hin?«, fragte Gawan lachend.
»Herausfinden, wer sie ist ...«
Emma seufzte im Schlaf, und Christian riss sich von der uralten Erinnerung los. Für einen Moment erlaubte er sich die kleine Freude, ihren Anblick in sich aufzunehmen. Den Anblick seiner Emma, die so fest schlief und ihm so nahe war, dass er, hätte er Substanz besessen, seine Finger ausstrecken und ihren Arm berühren könnte, der entspannt auf ihrem Bauch lag. Gott, wie wünschte er, ihren Duft riechen zu können ...
Christian schluckte, atmete tief ein und beugte sich vor, um sie noch genauer anzusehen. Dabei musste er seine ganze Willenskraft zusammennehmen, um stark zu bleiben und nicht zu vergessen, dass er sich geschworen hatte, sie in Ruhe zu lassen. Aber ihr so nahe zu sein ...
Er brachte seine Lippen so dicht an die ihren, dass sie sich beinahe berührten, und bewegte sie dann zu ihrem Ohr. »Oh Gott, Emma«, wisperte er und schloss ganz fest die Augen, als eine Unzahl von Gefühlen ihm die Kehle zuschnürten. »Wie ich dich vermisst habe.«
Und dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig: Zuerst flogen Emmas große blaue Augen auf und - möge Gott ihm beistehen! – richteten sich auf ihn. Dann stützte sie sich auf die Ellbogen und brachte ihr Gesicht noch näher an das seine, während ihr sinnlicher Mund sich fieberhaft zu bewegen begann, aber nichts Verständliches herauskam. Und schließlich – was er nie vergessen würde – holte sie tief Luft, hielt sie an und stieß dann einen Schrei aus, der jedem Lebenden das Blut in den Adern gefrieren lassen würde.
Christian of Arrick-by-the-Sea schloss
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