Ewigkeit
nun etwas ruhiger, bemerkte Auger, dass sie den Eingang der Métro-Station von Saint-Germain-des-Prés erreicht hatte. Sie hätte eine schnelle, sichere Taxifahrt bevorzugt, aber sie war bereit, mit der U-Bahn Vorlieb zu nehmen. Sie kramte etwas Geld aus ihrem Portemonnaie – die Münzwerte durchschaute sie immer noch nicht ganz – und kaufte einen Fahrschein für eine einfache Fahrt. Als sie durchs Drehkreuz ging, fuhr gerade quietschend ein Zug ein.
Auger bestieg ihn und blickte sich im Wagen um, während sich die Türen schlossen und sich der Zug in Bewegung setzte. Sie fand einen Sitzplatz neben zwei jungen Frauen, die die Nasen tief in Modemagazine gesteckt hatten.
Der Zug bohrte sich südwärts durch den Tunnel und fuhr in Saint-Sulpice ein. Die Wände des U-Bahnhofs waren mit verblassten, sepiafarben angelaufenen Werbeplakaten für Parfüm, Strümpfe und Tabak zugekleistert. Auger beobachtete die Aus- und Einsteigenden aus dem Augenwinkel, auf der Suche nach jemandem, der wie Floyd oder wie die Gestalt im Treppenhaus aussah. Aber sie erkannte niemanden wieder, und als der Zug in die Dunkelheit des nächsten Tunnels einfuhr, erlaubte sie sich, etwas in ihrer Wachsamkeit nachzulassen. Nach etwa einer Minute bremste der Zug zur Einfahrt in die nächste Station, Saint-Placide, ab, und Auger behielt erneut die Aus- und Einsteigenden im Auge, diesmal allerdings weniger angespannt. Stattdessen stahl sich vorsichtiges Interesse am Privatleben der ahnungslosen Gefangenen in ihren Blick. Plötzlich fiel Auger eine Frau auf, die zwei Wagen weiter vorne ausstieg. Sie hatte ein hübsches, von tiefschwarzem Haar eingerahmtes Gesicht, und Auger brauchte einen Moment, um die Frau wiederzuerkennen, die in der Rue du Dragon die Treppen geputzt hatte. Sie hatte Kopftuch und Schürze abgenommen, aber ihr Gesicht war unverkennbar. Statt Richtung Ausgang zu laufen, ging die Frau am Zug entlang, bis sie den Wagen direkt vor Auger erreichte, und stieg wieder ein, kurz bevor sich die Türen zischend schlossen und der Zug in die Dunkelheit fuhr.
Auger drückte die Handtasche fest an sich und widerstand dem Drang, sie zu öffnen und zu überprüfen, ob die Papiere noch da waren. Wenig später wurde der Zug wieder langsamer und erreichte Montparnasse. Auger sicherte sich einen Platz direkt an der Tür, als der Zug hielt. Erleichtert stellte sie fest, dass hinter ihr eine Menge anderer Fahrgäste die Bahn verließen, sich um sie scharten und sie in Richtung der gekachelten Gänge und Treppen drängten, die zur Linie 6 führten. Sie schob sich nach vorn und hielt dabei die Handtasche an sich gedrückt wie ein zu beschützendes Lebewesen. Als sie die Treppe hinaufging, warf sie einen Blick zurück und sah die schwarzhaarige Frau hinter sich, die sich fast zwischen den Köpfen und Hüten der übrigen Fahrgäste verlor. Die Linie 6 war eine Hochbahn, und als Auger ins Tageslicht trat, stellte sie erleichtert fest, dass schon ein Zug am Bahnsteig stand und gleich abfahren würde. Sie rannte, wäre in ihren schmerzhaft engen Schuhen beinahe gestürzt und schaffte es gerade noch hinein, als sich die Türen schlossen. Während der Zug losfuhr und Auger nach Luft schnappte, sah sie, dass die schwarzhaarige Frau auf dem Bahnsteig zurückgeblieben war.
Auger warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor zehn. Kaum eine Stunde war vergangen, seit sie das Detektivbüro betreten hatte.
Floyd ging beim ersten Klingeln ans Telefon. »Greta?«
»Ich bin’s«, bestätigte sie leicht außer Atem.
»Ich habe sie verloren«, sagte Floyd. Er saß bei geschlossenen Jalousien im trostlosen Gästezimmer in Montparnasse. Sophie war oben bei Marguerite, und über dem Haus lag eine sonderbare Sonntagmorgenruhe, obwohl es erst Samstag war. »Ich habe damit gerechnet, dass sie sich ein Taxi nimmt, sobald sie aus dem Büro kommt. Aber sie ist zu Fuß gegangen, und ich konnte sie mit dem Auto nicht verfolgen, ohne Verdacht zu erregen. Ich glaube nicht, dass sie mich erkannt hat, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Ich wollte lieber in Kauf nehmen, sie dieses Mal zu verlieren und darauf zu hoffen, dass wir sie bei Blanchards Wohnung wiederfinden.«
»Glaubst du, sie wird dort noch einmal auftauchen?«
»Vielleicht hat sie noch etwas zu erledigen, vor allem, nachdem sie sich den Inhalt der Dose angesehen hat.«
»Vielleicht. Auf jeden Fall haben wir sie noch nicht verloren. Ich weiß, wo sie übernachtet.«
Floyds Miene hellte sich auf. Dann und wann
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