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EwigLeid

EwigLeid

Titel: EwigLeid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virna Depaul
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fragte, ob sie und er, zu einem anderen Zeitpunkt, an einem anderen Ort, ohne ihre Altlasten und ihre Narben, einander etwas hätten bedeuten können. Doch das war lächerlich. Selbst wenn sie ihre problematische Vergangenheit außer Acht ließ, konnte Carrie sich nicht ändern. Konnte sie ihr Aussehen nicht ändern. Sie war kräftig und robust, nicht sexy und grazil. Jase flirtete mit ihr, weil sie zusammenarbeiteten, weil sie zur Stelle war und weil er wahrscheinlich schon Frauen angemacht hatte, bevor er laufen konnte. Er wollte nicht sie, er wollte nur die Herausforderung, die sie für ihn darstellte. Und dennoch konnte sie nicht fassen, dass er sie überhaupt wollte.
    Als Carrie aus den Augenwinkeln eine Bewegung sah, hob sie den Blick.
    „Mörderin!“, schrie eine Stimme, und im gleichen Moment packte jemand ihren Arm, riss sie herum und leerte einen Becher über sie aus. Carrie spürte lauwarme Flüssigkeit auf der Brust.
    Fassungslos sah Carrie die kleine ältere Frau an, die vor ihr stand und sie mit nahezu übermenschlicher Kraft festhielt, obwohl ihre faltige Haut papierdünn war und genauso verletzlich wirkte wie ihr zarter Knochenbau. Das silbrige Haar schimmerte violett, was ihr ein merkwürdig matronenhaftes Aussehen verlieh, doch ihre Augen waren von einem eindringlich klaren Blau und mit einem derartigen Hass auf Carrie gerichtet, das sie spontan zurückwich.
    „Ma’am“, setzte sie an.
    Die Frau ließ ihren leeren Kaffeebecher fallen und stieß Carrie mit beiden Händen vor die Brust.
    Carrie geriet nicht einmal ins Wanken, doch eine verräterische Angst breitete sich in ihr aus. Sie hatte Kevin Porters Großmutter nie persönlich kennengelernt, doch sie hatten am Telefon miteinander gesprochen …
    Die Tür zur Bar öffnete sich, und der Kneipenlärm drang nach draußen.
    „Hey, Lady“, rief Jase hinter Carries Rücken.
    Carrie hob eine Hand, als sie Jase mit besorgter Miene auf sich zukommen sah. „Jase, schon gut. Überlass es mir.“
    Die Frau blickte Jase an, als wäre er ein Ungeheuer. „Wer bist du? Noch so ein dreckiger Bulle? Ihr seid alle Schweine. Euretwegen ist Kevin tot. Ihr sollt alle in der Hölle schmoren!“
    Carrie hatte sich nicht getäuscht. Die Frau war Martha Porter. Carrie sprach mit leiser, fester Stimme und versuchte, die Angst zu verbergen, die sie überwältigen wollte. Ihre Atmung beschleunigte sich, und sie spürte einen vertrauten erstickenden Druck in der Brust.
    „Mrs Porter, tun Sie sich das nicht an. Bitte glauben Sie mir, ich denke tagtäglich an Kevin …“
    Das faltige Gesicht der Frau strahlte Zorn und Schmerz aus, und sie spuckte unkontrolliert in Carries Richtung und traf sie an Kinn und Kragen. Carrie stand da und fand keine Worte und wäre am liebsten in ein Mauseloch gekrochen, um zu sterben.
    „Himmel Herrgott!“ Jase drängte sich vor Carrie und zwang Martha Porter dadurch zurückzuweichen. „Zurück, Lady. Auf der Stelle.“
    Die Frau reckte sich um Jase herum und zeigte mit dem Finger auf Carrie. „Du hast kein Recht, seinen Namen auszusprechen. Mein Enkel. Ich habe ihn großgezogen … mein Baby …“ Mit den letzten Worten fiel das Gesicht der Frau in sich zusammen, und sie begann zu schluchzen.
    „Martha!“ Ein älterer Mann stürzte auf sie zu und legte den Arm um Martha. Ihm folgte ein korpulenter Herr in einem dunkelblauen Anzug. Seine Aktentasche schluggegen sein Bein, als er zu dem ältlichen Paar hastete.
    „Schsch. Schon gut, Martha. Gib jetzt Ruhe. Keine Sorge. Alles wird gut.“ Der ältere Mann führte Martha fort, blickte sich aber noch einmal um und warf Carrie einen vernichtenden Blick zu.
    Der Mann im Anzug blieb stehen und rang nach Luft. „Entschuldigen Sie. Wir wollten uns hier mit jemandem treffen. Sie ist außer sich … Es tut mir leid.“ Dann dreht er sich um und folgte dem alten Paar zu einem Haus ein paar Türen entfernt von McGill’s Bar.
    Auf der Straße herrschte gespenstische Stille. Carrie war sich schmerzlich bewusst, dass Jase sie ansah, und wischte sich mit zitternder Hand die Spucke vom Kinn. Gegen den Kaffeefleck auf ihrer Bluse konnte sie erst zu Hause etwas unternehmen.
    Es kostete sie Mühe, sich aufrecht zu halten. Sie schloss die Augen, atmete mehrmals schaudernd durch und wehrte sich gegen die Panikattacke. Die Akten rutschten ihr aus der Hand, und die Papiere verteilten sich auf dem Gehweg.
    Jase fluchte leise, doch Carrie nahm ihn kaum wahr. Ihre Atmung hörte sich in ihren eigenen Ohren

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