EwigLeid
laut an, sie erfolgte schnaufend und in kurzen, rhythmischen Stößen. Mit jedem Atemzug verstärkte sich das Gefühl, dass ihr Herz sich ausdehnte. Größer wurde, bis es im Begriff war zu explodieren.
Verzweifelt sah sie sich nach einem Versteck um. Herrgott, bitte, lass es nicht ausgerechnet jetzt passieren . Sie durfte keine Panikattacke bekommen. Nicht hier. Nicht vor Jases Augen.
Doch Jase sah sie nicht an. Er hatte sich herabgebeugt, sammelte die Papiere auf und schob sie in die Mappen. „Wer zum Teufel war das? Und warum hast du dir das gefallen lassen? Du hättest sie verhaften sollen! Himmel, ich hätte es tun müssen.“
Als sie nicht antwortete, blickte Jase zu ihr hoch und richtete sich auf. „Carrie?“
Carrie hörte die Sorge in seinem Tonfall. Wusste, dass sie ihm antworten sollte. Doch vor ihren Augen erschien die bekannte Szene: wie sie wieder die Waffe auf Kevin Porter richtete und dann am Boden mit ihm rang. Versuchte, ihre Waffe in die Hand zu bekommen, bevor er sie mit seiner eigenen tötete. Versuchte, ihn zu erschießen. Den Jungen zu erschießen, der das Bild von sich und seiner Großmutter gemalt hatte, das Bild, das an ihrer Kühlschranktür klebte.
„Carrie. Sieh mich an.“ Jase klemmte sich die Akten unter den Arm, nahm Carries Gesicht zwischen die Hände und zog ihren Kopf dicht zu sich heran. „Sieh mich an.“ Er streichelte ihre Wangen, ihr Kinn. Flüsterte beschwichtigende Worte.
Carrie wusste nicht, wie lange sie so da gestanden hatten, doch irgendwann bemerkte sie seinen besorgten Blick. Sie konzentrierte sich auf die Berührung seiner Hände. Spürte, wie ihre Atmung sich verlangsamte. Die Angst wich aus ihr wie Luft aus einem Ballon. Reste waren noch da, doch sie hatte nicht mehr das Gefühl, platzen zu müssen.
„So ist’s recht. Braves Mädchen. Gut so“, beruhigte Jase sie, und Carrie empfand seine tiefe grollende Stimme als tröstlich.
Schließlich griff sie nach seinen Händen und zog sie von ihrem Gesicht. Der Vorfall selbst und auch ihre panische Reaktion waren ihr peinlich. „Ich … Alles in Ordnung. Tut mir leid. Ich habe nur … Sie hat mich einfach überrumpelt.“ Carrie rieb sich noch einmal das Kinn. Dann streckte sie die Hand nach den Akten aus.
Widerstrebend reichte Jase sie ihr. Sie spürte seinen Blick, als sie sich ringsum vergewisserte, ob auch kein Dokument übersehen worden war.
Jase stemmte die Hände in die Hüften. „Sie ist mit dem Kerl verwandt, der auf dich geschossen hat?“
Carrie tat geschäftsmäßig und würdigte ihn kaum eines Blickes. „Egal.“ Aber egalwar es weiß Gott nicht. Sie wäre beinahe vor Jases Augen zusammengebrochen. Sie konnte es sich nicht leisten, vor irgendjemandem Schwäche zu zeigen, schon gar nicht vor Jase. Er war derjenige, der sie am stärksten aus der Ruhe brachte, und entsprechend derjenige, vor dem sie am meisten auf der Hut sein musste. Sie rieb sich die eiskalten Arme. Der Abend war mild, und sie trug eine Jacke. Warum war ihr so kalt?
„Carrie …“
Sein Tonfall war so mitfühlend, dass Carrie ruckartig den Blick hob und Jase ansah. Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und wünschte sich, dass das Leben anders sein könnte. Dass Jase sie wenigstens eine Sekunde lang in die Arme nehmen würde. Seit Jahren hatte sie keinen festen Freund gehabt. Abgesehen von dem einen kurzen Kuss von Jase vor über einem Monat hatte sie sich nicht einmal den lockersten Kontakt mit jemandem gestattet, nicht einmal mit einer Freundin. Ein bisschen Freundlichkeit. War das zu viel verlangt?
Ja, das war es, räumte sie ein, als sie sich ins Gedächtnis rief, wie schwer es ihr gefallen war, nach seinem Kuss von ihm fortzugehen.
Diese Art von zwischenmenschlicher Beziehung hatte immer ihren Preis. Immer.
Sie schüttelte den Kopf. Holte tief Luft. Rang sich ein beruhigendes Lächeln ab. „Mir geht’s gut, Jase. Ehrlich.“
„Was war los, Carrie? Es sah aus, als hättest du eine Art Panikattacke. Vielleicht ist es doch keine gute Idee, morgen schon wieder zur Arbeit zu kommen.“
Sie straffte den Rücken und sah Jase aus zusammengekniffenen Augen an. „Es mag ja wie eine Panikattacke ausgesehen haben, aber es war keine. Ich sagte doch, sie hat mich überrumpelt.“
„Genauso überrumpelt wie von Kevin Porter an dem Tag, als er seine Waffe auf dich richtete?“
„Was … was soll das heißen?“
Jase rieb sich den Nacken. „Weiß nicht. Viele Polizisten werden im Dienst verletzt, weiß
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