EwigLeid
Menge Lust, das war es, was Carrie gesucht hatte. Trotz der Düsternis und Gefahr, die sie gezwungen hatten, gemeinsam den Embalmer-Fall zu bearbeiten, wollte sie diese Partnerschaft mit etwas Gutem, Lebensbejahendem beenden. Und das hatte sie für ein paar kostbare Augenblicke bekommen.
Sie erinnerte sich deutlich an den Moment, als sie Jase ihr Herz vollständig geöffnet hatte. Ihn eingelassen hatte. Ihre Angst war verflogen und hatte all ihre Unsicherheiten und Zweifel mit sich genommen. In seinen Armen war eine gemeinsame Zukunft mit ihm plötzlich denkbar geworden.
Bis Jase sie aufgeweckt und ihr von Commander Stevens’ Anruf berichtet hatte.
Sie ließ Jases Worte vom Vorabend noch einmal Revue passieren.
Niemand kommt im Leben mit heiler Haut davon, Ward. So funktioniert das nun mal nicht.
Die Geborgenheit, die sie in Jases Armen empfunden hatte, war eben doch nur ein Traum.
Illusorisch. Vorübergehend.
Bowers war tot, doch ein anderer Mörder lief noch frei herum.
Wieder war das Mordopfer eine Frau. Wieder waren ihr die Augenlider abgeschnitten worden. Doch wieder unterschieden sich Todesursache und Entsorgung der Leiche fundamental von den vorangegangenen Fällen. Dieses Mal war dem Opfer in breiten Streifen die Haut abgezogen worden. Aufgrund ihrer Informationen über Bowers und seine Vorliebe für Horrorfilme musste Carrie unwillkürlich an den bekannten Film über einen Serienmörder denken, der eine FBI-Agentin unterstützt und ihr hilft, einen anderen Mörder zu stellen, der seine Geiseln hungern lässt, ihnen dann die Haut abzieht und sich mithilfe dieser Haut in eine Frau umwandeln will. Carrie selbst hatte den Film nicht gesehen, doch er war ein derartiger Knüller, dass ihre Freunde von der Polizei noch monatelang darüber geredet hatten.
Ihre anfängliche Theorie, der Mörder hätte Cheryl Anderson und Kelly Sorenson wegen ihrer Verbindungen zum Sequoia College ausgewählt, stand im völligen Widerspruch zum neuen Mordfall, denn das Opfer Tammy Ryan hatte keinerlei Beziehung zum College. Die Ermittler ruderten unverzüglich zurück und suchten mit Ryans Foto McGill’s Bar auf, doch niemand erinnerte sich, sie je gesehen zu haben, sei es mit Kelly Sorenson zusammen oder sonst wie. Nach den Aussagen von Verwandten und Freunden sowie Susan Ingram hatten Ryan und Sorenson einander nicht gekannt. Und niemand, mit dem sie redeten, kein Freund oder Bekannter, kein Fremder, den sie aufstöberten, und keiner der anderen Beschäftigten in McGill’s Bar konnte sich erinnern, Kelly Sorenson am Abend ihres Todes nach acht Uhr noch in McGill’s Bar gesehen zu haben.
Das war es, was Carrie derzeit in erster Linie beschäftigte. Susan Ingram hatte ausgesagt, Kelly hätte sie an jenem Abend gegen neun Uhr angerufen. Zu diesemZeitpunkt war Kelly nach ihren eigenen Worten ihrem Sozialfall gefolgt. Die Anruferkennung von Ingrams Telefon bestätigte diese Uhrzeit. Doch obwohl viele Leute sich erinnerten, Kelly an jenem Abend gesehen zu haben, hatte sie nach den Worten der meisten gegen acht Uhr das Lokal verlassen.
Carrie hatte Kellys Mobilfunkanbieter kontaktiert und die Aufzeichnungen der am Mordabend ein- und abgehenden Anrufe auf Kellys Handy angefordert. Mit diesen Informationen war aber frühestens in zwei Tagen zu rechnen. Jetzt wartete Carrie außerdem noch auf Tammy Ryans Anrufaufzeichnungen. Sobald beide ihr vorlagen, konnten sie auf gemeinsame Telefonnummern überprüft werden, um herauszufinden, ob dieselbe Person, derselbe Mörder beide angerufen hatte.
Und obwohl Sorenson zerstückelt worden war und Ryan nicht, war es eine logische Folgerung, dass es sich um ein und denselben Täter handelte, der etwa zur gleichen Zeit wie Bowers auf die Idee kam, seinen Opfern die Augenlider abzuschneiden. Niemand glaubte noch an einen Zufall.
Trotz ihres Frusts schloss Carrie still die Akte, die sie durchgesehen hatte, und sprach mit ruhiger Stimme. Sie brauchte nicht aus der Haut zu fahren, damit Jase wusste, wie gereizt sie war; ihm ging es wahrscheinlich genauso. „Das muss aufhören. Wir müssen wissen, nach welchen Kriterien er seine Opfer aussucht. Aus welchen Gründen.“
„Die Augenlider sind ein Hinweis“, überlegte Jase. „So muss es sein. Und das bedeutet, dass er wahrscheinlich auch noch andere Hinweise gibt.“
„Wie denn? Er ändert seine Vorgehensweise. Die Art, wie er die Leichen entsorgt.“
„Vielleicht ist das ja auch schon ein Hinweis. Die Verschiedenheit. Er hat Sorensons
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