Ewiglich die Hoffnung
Und dafür muss ich bloß die Klappe halten.«
Ich schloss die Augen und seufzte. Es war irgendwie schön, zu hören, dass jemand einmal etwas aus dem ganz banalen Grund machte, weil er Geld wollte. Und nicht das ewige Leben.
Als ich die Augen aufschlug, legte Ezra mir eine Hand auf die Schulter. Ich blickte auf den Fliesenboden. Den Boden, durch den ich schon so oft geschlüpft war. Notfalls konnte ich das vielleicht noch einmal tun. »Haben Sie … Haare oder so von Cole? Oder von einem der anderen?«
»Nein. Die sind vorsichtig. Und sie würden mich umbringen.«
Die Ladenglocke bimmelte, und Schritte kamen näher.
»Nikki!« Will bog um die Ecke und schlang die Arme um mich.
Ich vergrub den Kopf an seiner Brust. »Ich hatte ihn, Will. Ich hatte schon seine Hand gefasst. Und ich hab ihn verloren.«
Als Will mich aus dem Minimarkt und zu seinem Auto brachte, kamen mir die Tränen. Schnell und heftig. Ich fragte mich, wie oft ich Jack noch enttäuschen konnte, bis es irgendwann zu spät war.
Will bot an, mich nach Hause zu fahren, aber ich wollte meinem Vater noch nicht unter die Augen treten. Es war vierundzwanzig Stunden her, seit ich von der Toilette in Dr. Hills Praxis einfach ins Ewigseits verschwunden war. Seitdem galt ich als vermisst. Ich hoffte nur, dass es aussah, als wäre ich durchs Fenster abgehauen oder so.
Wir beschlossen, erst mal zum Stadtpark zu fahren, und unterwegs erzählte ich Will die ganze Geschichte. Wie weit wir gekommen waren … Wie nah wir dem Ziel gewesen waren …
Und wie Cole mich dann rausgekickt hatte.
Will sah mich an. »Vielleicht hat Cole irgendeine Gefahr gewittert.«
»Aber dann hätte er doch was gesagt.« Ich schüttelte den Kopf. »Und wir waren allein. Wenn da Schatten gewesen wären, hätte ich sie gesehen. Oder zumindest gespürt.«
»Vielleicht war es irgendetwas anderes. Ich meine, er hat dich doch praktisch bis ans Ziel begleitet. Aus welchem Grund sollte er so viel riskieren, bloß um dich am Ende rauszukicken? Das wäre doch idiotisch. Wieso hätte er dann überhaupt mit dir mitgehen sollen?«
»Was weiß ich.«
Will nahm meine Hand. »Nein. Ich bin sicher, er wollte dich vor irgendwas beschützen. Du wirst bald wieder eine Hand auftauchen sehen. Da geh ich jede Wette ein.« Aber überzeugt klang er nicht. Vielleicht wollte er sich einfach nicht eingestehen, dass ich gescheitert war.
Ich nickte. »Das wird’s sein.« Ich schätze, wir möchten die Menschen, die wir lieben, einfach nicht aufgeben. Das erinnerte mich an meinen Dad. »Leihst du mir mal dein Handy?«
Will gab es mir, und ich rief meinen Dad an. Als er meine Stimme hörte, ratterte er ein paar Sätze herunter, die klangen, als hätte er sie ein paarmal vor dem Spiegel einstudiert.
»Nikki. Es ist mir egal, wo du gewesen bist. Es ist mir egal, warum du abgehauen bist. Komm einfach nach Hause. Alles andere klären wir später.«
Als ich nach Hause kam, rechnete ich fest mit einem Verhör von meinem Dad, aber nichts dergleichen geschah. Er drohte mir nicht mit Notfalltherapiesitzungen. Kein Wort über mein Verschwinden aus Dr. Hills Praxis. Kein Wort über mein Wiederauftauchen, obwohl ich bestimmt seltsam aussah, weil ich das, was von meinen Haaren übrig geblieben war, unter einer Baseballmütze von Will versteckt hatte und meine Brandwunden von der Kapuzenjacke verdeckt wurden, deren Reißverschluss ich bis oben zugezogen hatte.
Es duftete nach Essen aus dem Chinarestaurant Trang , was auch die weißen Verpackungen auf dem Küchentisch verrieten: Pfannengemüse und knuspriges Hähnchen mit gedämpftem Reis.
Dad und Tommy hatten schon ohne mich angefangen. Vielleicht war das Verhör also nur aufgeschoben. Tommy balancierte eine Gabel mit Hähnchen und Reis auf halbem Weg zwischen Teller und Mund. Mein Dad aß sein Hähnchen Kung-Pao mit Stäbchen. Als ich zwölf war, hatte er versucht, mir das Essen mit Stäbchen beizubringen. Ich war nie über die Kinderversion hinausgekommen, mit einem Gummiband am Ende und einem zusammengerollten Stück Papier in der Mitte dazwischengeklemmt.
Als er mich sah, entspannte sich sein Gesicht, und er musste blinzeln, weil ihm plötzlich Tränen in den Augen standen. »Nikki.« Er sprach meinen Namen leise aus, doch die beiden Silben waren voller Liebe. »Komm, greif zu.« Er deutete auf einen leeren Teller, der auf dem Tisch stand. »Hungrig?«
»Ja.« Ich setzte mich, und er gab einen Löffel Hähnchenfleisch auf meinen Teller. Ich beobachtete
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