Ewiglich die Hoffnung
Donnerstagnacht. Irgendwie hatte ich eine Nacht verpasst, in der ich hätte träumen können.
Das bedeutete auch, dass ich gestern Nacht nicht zu Hause gewesen war. Mein Dad hatte mich wahrscheinlich heute Morgen nicht beim Frühstück angetroffen, aber das kam häufiger vor; doch außerdem hatte ich auch noch meinen Termin bei Dr. Hill versäumt.
Wo sollte ich jetzt hin? Nach Hause, bloß um wieder zu verschwinden? Wie lange würde es dauern, bis mein Dad mich als vermisst meldete? Ich war schon einmal verschwunden, und er hatte eine Weile gebraucht, bis er begriff, dass ich nicht wiederkam, und noch länger, bis er wusste, was er machen sollte. Falls ich erneut verschwand, würde er dann davon ausgehen, dass ich bald wiederauftauchte? Oder würde er schneller die Polizei verständigen?
Ich sank zu Boden, drückte den Rücken gegen die Backsteinmauer und atmete ein paar Sekunden ein und aus, konnte aber die Tränen nicht stoppen. Ich wischte sie mit dem Handrücken weg. Er war noch rot, doch jetzt war die Farbe verschmiert.
Was hatte es mit dem See auf sich? War das wirklich Blut? Ich legte den Kopf in die Hände. Großer Gott. Ich war in Blut geschwommen.
Aber schlimmer noch, ich hatte eine Nacht verpasst. Eine ganze Nacht. Hatte Jack mich gesucht?
Als ich ein bisschen vorrutschte, machte etwas in meiner Gesäßtasche ein schabendes Geräusch.
Mein Handy.
Ich holte es hervor und schaltete es an, doch nichts geschah. Vielleicht musste es nach meinem Bad im See erst noch trocknen.
Ich schloss die Augen und atmete tief aus. Mir fiel nur eine Anlaufstelle ein, wo ich hinkonnte. Bis zu Will waren es nur zwei, drei Meilen, aber ich konnte es schaffen, bevor es zu spät war. Falls ich heute Nacht bei ihm schlafen und von Jack träumen konnte, dann könnte ich morgen früh meinem Dad eine Nachricht hinterlassen, dass ich dringend wegmüsste und in ein paar Tagen wieder da wäre.
Die Verandalampe am Haus der Caputos war aus, aber in den Schlafzimmern brannte noch Licht. Wills Zimmer lag im Keller, genau unter Jacks. Ich spähte hinein und sah Will auf dem Bett liegen, die Augen geschlossen, Kopfhörer auf. Ich ging vor dem Fenster in die Hocke und klopfte leise.
Was immer er sich da auch anhörte, es konnte nicht sehr laut sein, denn er fuhr augenblicklich hoch und hielt das Gesicht dicht vors Fenster, um besser sehen zu können. Als er mich erkannte, hastete er aus dem Zimmer. Ich lief hinters Haus, und Will öffnete die Kellertür.
»Becks! Wo hast du –«
Erst jetzt registrierte er, wie ich aussah, und verstummte jäh. Er winkte mich herein und umarmte mich.
»Was ist denn passiert?«
Ich warf die Arme um ihn und vergrub das Gesicht an seiner Schulter. Und schluchzte.
Fünf Minuten später stand ich in der Dusche neben Wills Zimmer. Ich schrubbte und schrubbte, bis der letzte Rest von dem roten Zeug im Abfluss verschwunden war.
NACHTS
Wills Zimmer.
Ich bin erleichtert, als Jack erscheint, weil das bedeutet, dass er die Nacht, die ich fort war, überlebt hat.
Er sieht mich erwartungsvoll an.
»Ich bin auf dem Weg zu dir. Weißt du das?«, sage ich.
Jack antwortet nicht. Er betrachtet suchend mein Gesicht.
»Was ist, Jack?«, frage ich. »Hast du Schmerzen?«
Sein Gesicht verrät, dass er leidet. »Ich … Ich kann mich nicht an deinen Namen erinnern. Es tut mir leid. Es tut mir so leid.« Er schließt die Augen und schüttelt den Kopf.
Er kann sich nicht an meinen Namen erinnern. Sind wir wirklich schon so weit? Ich versuche, mir meine Angst nicht anmerken zu lassen, aber ich habe nur den einen Wunsch, meinen Namen hinauszuschreien, so laut, dass der Klang von Wills Zimmer in der Oberwelt bis zu den Tunneln im Ewigseits dringt. Hat diese eine Nacht getrennt von ihm so großen Schaden anrichten können? Ich muss mich zwingen, still zu bleiben. Er darf nicht wissen, dass ich innerlich zusammenbreche. Ich strecke die Hand aus, um sein Gesicht zu berühren, aber sie gleitet durch Luft hindurch. »Ich heiße Becks«, sage ich. »Ist nicht schlimm.«
»Becks«, sagt er. Ich weiß, dass er meinen Namen in seinem Innern einwickelt, die Decke seines Herzens darumschlägt. Ich weiß das, weil ich dasselbe mit seinem Namen gemacht habe, als ich in der Nährhöhle war. »Becks«, sagt er wieder.
»Ja«, sage ich. Wickle ihn gut ein, denke ich . Du brauchst etwas, woran du dich festhalten kannst.
JETZT
Ich schoss aus dem Bett und wäre fast auf Will getreten, der auf dem Fußboden schlief.
»Was’n
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