Ewiglich die Hoffnung
richtete mich wieder auf. »Sie sterben nicht. Tote würden zu viel Aufmerksamkeit erregen. Sie werden bloß randvoll mit Wasser gefüllt. Dann vergessen sie alles, was sie gewusst und gefühlt haben.«
»Für wie lange?«
Er verzog das Gesicht. »Jedenfalls so lange, bis wir die Sache zu Ende gebracht haben oder gescheitert sind.«
Ashe und Max versuchten, so gut sie konnten, die Gesichter vom spritzenden Wasser wegzudrehen. Sie atmeten schwer.
Eine frische Schmerzwelle traf mich in der Brust, und ich sah zu Cole hoch, während ich versuchte, Atem zu schöpfen und den Schmerz zu lindern. »Wieso hat er die guten Emotionen genommen? Du hast doch gesagt, die schlechten steigen immer ganz nach oben.«
»Nur in der Oberwelt. Hier sind alle Emotionen gleichgewichtig. Die Streuner haben die freie Auswahl, und natürlich suchen sie sich da die guten heraus.«
Hoffnung, Freude, Liebe, Geduld. Mir war, als hätte der Streuner sie alle aus mir herausgeschnitten, sodass nur noch kleine Stummel übrig waren, und sie durch das schwarze Öl aus Verzweiflung und Selbstverachtung ersetzt. Hass. Das schwarze Loch bohrte sich durch mich hindurch, wand sich durch meine Adern, umhüllte mein Herz. Ich stöhnte.
»Wir schaffen das nicht«, sagte ich. Mein Gesicht verzerrte sich vor Verzweiflung. Ich konnte es spüren, aber ich konnte es nicht verhindern.
Ich nahm verschwommen wahr, wie das panische Strampeln der beiden Streuner nachließ, und dann rührten sie sich nicht mehr.
Ashe und Max zogen sie heraus und legten sie mit dem Gesicht nach oben auf die Erde. Ich drehte mich weg und rollte mich wieder ganz klein zusammen.
Max kam zu uns herüber und streckte mir eine Hand hin. »Wir müssen weiter. Ich wollte euch noch warnen. Es sind uns noch mehr Streuner auf der Spur.«
Noch mehr Streuner. Drei hatten wir abwehren können, aber noch mehr?
Ich ergriff seine Hand nicht. Ich konnte mich nicht bewegen. Ohne die leichteren Emotionen als Ausgleich zu den schwereren wirkte sich meine Schuld – zumindest dachte ich, es wäre meine Schuld – lähmend auf mich aus. Sie hatte mein Herz in Beton verwandelt. »Ich kann nicht. Es wird niemals klappen. Ich werde ihn niemals finden. Wenn ein Streuner mir das alles wegnehmen kann, was haben die Tunnel dann bereits mit Jack gemacht? Nehmen sie ihm als Erstes all seine Hoffnung? All seine Liebe?« Ich legte eine Hand auf die Brust. »Wie kann jemand nur mit dem, was übrig ist, weiterleben?«
Cole hockte sich vor mich, packte meine Schultern und schüttelte sie sanft. »Nik. Sieh mich an. Wir sind nicht so weit gekommen, damit du jetzt die Hoffnung verlierst. Es sind Streuner hinter uns her, und wir müssen weiter.«
Seine Worte klangen einleuchtend, aber sie erreichten meinen Körper nicht. Ich reagierte nicht. Irgendwo tief in meinem Kopf wusste ich, dass ich aufstehen und weitergehen musste. Doch ich konnte nicht. Jede Zelle meines Körpers war voll schwerer Schuld, und sie drückte mich nach unten wie Blei.
Cole schob die Hände unter meine Arme. »Aufstehen. Wir können nicht länger hierbleiben. Jack braucht dich.« Er wuchtete mich hoch.
»Jack«, sagte ich. Ich hatte ihn nicht vergessen, ich konnte bloß nichts tun.
»Ja, Jack. Der Jack, der Ewig Dein ist. Weißt du noch, der Junge, der unter einem Baum ein Buch gelesen und damit dein Herz erobert hat? Jack.«
Er legte sich einen meiner Arme um die Schultern und fasste mich um die Taille.
Als ich aufrecht stand, schaute Max nach unten auf mein Kontaktband. »Ähm, sehe ich das richtig?«
Ich folgte seinen Augen. Nicht ein Kontaktband, sondern zwei. Eines, das nach rechts zeigte, und eines, das geradeaus zeigte.
Ashe kam angelaufen. Ich vermutete, er hatte noch mal nach den Streunern gesehen.
»Uns läuft die Zeit davon«, sagte er zu Cole.
Cole stöhnte. »Welches ist es, Nik? Welches ist dein Kontaktband zu Jack?«
Sie sahen völlig gleich aus. Ich schloss die Augen, aber die klare Verbindung zu Jack war gelöscht worden. »Ich weiß es nicht.«
Cole drückte meine Arme. »Konzentrier dich! Gegen ein Dutzend Streuner sind wir machtlos. In welche Richtung müssen wir?«
Ich starrte auf die Kontaktbänder, suchte nach irgendeinem Hinweis, welches von beiden zu Jack führte. Dasjenige, das geradeaus zeigte, schien dunkler zu sein, oder bildete ich mir das nur ein?
»Welche Richtung?!«
»Da lang«, sagte ich und zeigte geradeaus. Wir liefen los, und schon kam der erste Streuner um die Ecke hinter uns gebogen. Ich
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