Ewiglich die Sehnsucht - Ashton, B: Ewiglich die Sehnsucht
nicht. Ich kann auch ohne überleben.«
Wir saßen ein paar Minuten schweigend da. Obwohl es dunkel im Zimmer war, brachte ich es nicht über mich, Jack ins Gesicht zu sehen, daher blickte ich zum Fenster hinaus. Es waren keine Sterne am Himmel, oder vielleicht waren sie alle von Wolken verdeckt.
»Soll das so was wie eine Metapher sein? Willst du mich kirre machen?«
»Nein.«
»Dann zeig’s mir«, sagte Jack.
Ich riss den Kopf herum und sah ihn an. »Was soll ich dir zeigen?«
»Küss mich.«
»Nein.« Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich die Luft anhielt, bis ich ausatmete. »Ich kann nicht.«
»Du musst.«
»Warum?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Vielleicht hilft es mir, das Ganze besser zu verstehen. Wenn ich es vorhin nicht gespürt hätte, würde ich dir kein Wort glauben. Mach es noch einmal, damit ich weiß, dass das alles kein irrer Traum war.«
Ich schüttelte den Kopf, spürte aber, dass ich nachgab. Nachgeben wollte. »Ich werde dich nicht küssen.«
»Aber …«
Ich hob die Hand. »Ich kann es dir zeigen, ohne dich zu küssen. Glaub ich jedenfalls.«
Das schien ihn zufriedenzustellen. »Okay.«
Ich dachte daran, wie lange ich schon wieder zurück war. Wie sehr ich meine Seele wieder aufgefüllt hatte. Sie war noch längst nicht voll, aber doch voll genug, dass ich nicht die Kontrolle verlieren würde, wenn ich eine Kostprobe von Jack nahm. Jack machte Anstalten, die Distanz zwischen uns zu überbrücken.
»Halt«, sagte ich. Er erstarrte. »Beweg dich nicht.«
»Wieso bist du so besorgt, Becks?«
»Weil wir imstande sein müssen, aufzuhören. Es wird sich für dich gut anfühlen. Es wird sich anfühlen, als würde sich alles, was dich bedrückt, in Luft auflösen.«
»Wie wird es für dich sein?«
Als würde ein ausgehungerter Mensch ein Festmahl abhalten. Aber das sagte ich ihm nicht. »Schließ die Augen und halt still.«
»Okay.«
Ich rutschte zu ihm rüber und beugte mich so langsam wie möglich vor. Jack blieb völlig reglos. Als meine Lippen nur noch wenige Zentimeter von seinem Mund entfernt waren, atmete ich ein. Und konzentrierte mich darauf, die Energie, die direkt vor mir war, in mich einzusaugen. Es war, als würde mir warme, aufgeladene Luft die Kehle hinunterrinnen, die kalte Leere in mir füllen.
Seine Augen flogen auf. Wir sahen einander einige Sekunden lang an, während ich weiter seine Gefühle kostete. Überwiegend alter Schmerz. Vor allem Liebeskummer. Diese Emotionen lagen an der Oberfläche. Das waren die negativen immer. Deshalb wollten die Spender es ja wieder und wieder erleben. Am Anfang war es wie eine Erlösung.
Der Brunnen in mir erhielt seine ersten Tropfen Feuchtigkeit von jemand anders. Jack beugte sich noch näher zu mir, und ich wich hastig zurück, bis ich wieder an der Wand war.
»Hast du’s gespürt?«, fragte ich.
Jack presste die Lippen zusammen und nickte einmal.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich weiß, du kannst das alles unmöglich verstehen.«
Er blickte zu Boden. »Was bist du, Nikki?«
Nikki? So hatte er mich schon lange nicht mehr genannt. »Ich weiß nicht.« Ich verzog das Gesicht. Ehrlich zu Jack zu sein, funktionierte nicht. Das spürte ich in dem Raum zwischen uns. Ich verlor ihn.
Er blickte nicht auf, als er sagte: »Ich denke, du solltest jetzt gehen.«
Jack hatte Angst vor mir.
Ich ging zum Fenster und kletterte nach draußen.
Kapitel Neunzehn
JETZT
Zu Hause. Noch zwei Monate und eine Woche.
Als ich einschlief, träumte ich, im Gang des Minimarkts zu stehen und langsam mit den Füßen im Boden zu versinken. Ich wollte sie wieder herausziehen, doch der Boden war wie Treibsand. Ich klammerte mich an das Regal mit den Schokodonuts, doch es kippte auf mich drauf, drückte mich noch tiefer. Und als ich den Mund öffnete, um zu schreien, streckten sich Arme aus dem Boden, hielten mir den Mund zu und zerrten mich ganz in die Tiefe.
Die Fähigkeit zu träumen wurde gehörig überbewertet.
Im nächsten Moment, so schien es mir zumindest, weckte mich heftiges Klopfen an meiner Zimmertür. »Nikki?« Es war Tommys Stimme. »Nikki? Bist du wach?«
»Ja. Komm rein, Kleiner.«
Tommy steckte den Kopf herein, das braune Haar vom Schlaf noch ganz verwuschelt. »Du bist in der Zeitung.«
»Was?« Ich setzte mich im Bett auf.
»Dad sagt, du bist in der Zeitung. Er ist ganz schön sauer.«
Ich warf die Decke zurück und griff auf dem Weg aus dem Zimmer nach meinem Bademantel. Wie in aller Welt war ich in
Weitere Kostenlose Bücher