Ex
Gestalten, die auf sie zukamen, uniformiert waren. Ihre Mutter hatte ihre Drohung wahr gemacht und die Polizei gerufen.
Der eine Polizist richtete den Strahl einer Taschenlampe auf sie. Blinzelnd hielt sie sich eine Hand vor die Augen.
»Treten Sie von der Tür zurück.«
Sie gehorchte automatisch.
»Umdrehen und das Gesicht zur Wand links von Ihnen.«
Die zweite Stimme war die einer Frau. Nun näherte sich ihr die Polizistin von hinten.
»Hände an die Wand, Beine auseinander.«
Joanna wollte einwenden, daß sie nicht bewaffnet war, doch die Polizistin fuhr sie an, sie solle den Mund halten, während sie sie schnell und routiniert abtastete.
»Okay, Sie können sich umdrehen.«
Joanna betrachtete die zwei Polizeibeamten. Über ihre Gesichter liefen Wassertropfen, und sie trugen schwere Regenkleidung, in der sie ungelenk und aufgebläht wirkten. Wieder leuchtete ihr der Mann mit seiner hellen Taschenlampe ins Gesicht, so daß sie die Augen zusammenkneifen mußte.
»Können Sie sich ausweisen?«
»Nein, ich…« Sie wollte zu einer Erklärung ansetzen und sagen, daß alle ihre Sachen in der Wohnung eines Freundes in New York waren. Doch im selben Moment wurde ihr klar, wie sinnlos das wäre. »Nein, ich habe keine Papiere bei mir.«
»Wer sind Sie, und was haben Sie auf diesem Grundstück zu suchen?«
»Ich bin Joanna Cross, und das ist das Haus meiner Eltern.«
Sie sah, wie die beiden einen Blick wechselten und der Mann den Kopf schüttelte, als wollte er seiner Kollegin zu verstehen geben, daß Joanna log.
»Steigen Sie hinten in den Wagen«, befahl er ihr, indem er mit der Lampe auf den Streifenwagen wies und ihr bedeutete vorauszugehen. Als sie auf dem Rücksitz Platz genommen hatte, ließ er die Tür offen und blieb davor stehen.
Sie spähte an ihm vorbei und sah, wie die Polizistin mit ihrer Mutter an der Haustür sprach. Ihre Mutter warf einen kurzen, nervösen Blick auf die blasse, junge Frau im Wagen, dann schüttelte sie den Kopf.
»Nein«, hörte Joanna sie sagen, »ich kenne sie nicht. Ich habe sie noch nie in meinem Leben gesehen.«
»Sind Sie ganz sicher, Madam?« wollte der Polizist wissen und trat ein paar Schritte vom Auto zurück. »Ich habe Mrs. Cazaubon kennengelernt, als sie mit ihrem Mann hier war, also weiß ich, daß sie es nicht ist. Aber haben Sie gar keine Idee, wer diese…?«
Er verstummte, als auf der Auffahrt zwei weitere Autoscheinwerfer sichtbar wurden, die durch den Regen leuchteten, der in langen, silbernen Fäden durch die Nacht fiel. Zunächst nahm Joanna die Ankunft ihres Vaters nicht wahr. Sie war völlig überwältigt von dem, was sie gerade gehört hatte, und versuchte noch immer, dessen Bedeutung zu erfassen: Mrs. Cazaubon!
Eine Wagentür wurde zugeschlagen, dann hörte sie die Stimme ihres Vaters. »Was ist los, Schatz? Ist alles in Ordnung?«
Joanna sah, wie ihr Vater auf ihre offensichtlich aufgeregte Mutter zustürmte. Was sie sagte, konnte Joanna nicht verstehen, aber danach blickte Bob Cross in Joannas Richtung, und die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Über die Distanz hinweg starrten sie einander an. Nichts wies darauf hin, daß er sie erkannte – was sie inzwischen auch nicht mehr zu hoffen gewagt hatte.
Aus dem Haus drang ein krachendes Geräusch, und Skips Bellen, das bis dahin nur gedämpft zu vernehmen gewesen war, wurde plötzlich lauter, als er aufgeregt durch die Tür ins Freie sprang. Joannas Vater versuchte ihn zu fangen, doch der Hund entwischte ihm und rannte angesichts der ungewohnten Aufregung wie verrückt im Kreis herum. Wütend riefen Joannas Eltern ihn bei Fuß, doch er gehorchte nicht.
Da sah Joanna ihre Chance. Sie hatte gehofft, hier eine Zuflucht vor dem Wahnsinn zu finden, der über ihr Leben hereingebrochen war. Aber jetzt erkannte sie ihren Irrtum. Ihr einziger Gedanke war Flucht. Noch wollte sie nicht kampflos aufgeben, auch wenn sie nicht mehr genau wußte, wofür oder wogegen sie eigentlich kämpfte. Während ihre Eltern wie auch die Polizisten von dem herumtobenden, kläffenden Hund abgelenkt wurden, rutschte sie auf der Rückbank zur anderen Seite und faßte nach dem Türgriff. Vorsichtig zog sie daran, die Tür war nicht abgeschlossen. Ehe es jemand bemerkte, war sie schon draußen und lief, so schnell sie konnte.
»He, halt! Stehenbleiben!«
Sie hörte, wie ihr die beiden Polizisten nachrannten, doch sie schaute nicht zurück und lief auch nicht langsamer. Sollten sie sie doch erschießen!
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