Ex
Wahrscheinlich würden sie das nicht tun, dachte sie, aber es wäre immer noch besser, als einfach aufzugeben. Sie jagte zwischen Büschen und Bäumen hindurch, folgte schlüpfrigen, regennassen Pfaden und verborgenen Wegen, die sie seit ihrer Kindheit kannte und auf denen ihr in der Dunkelheit niemand folgen konnte.
Nach ein paar Minuten glaubte sie, sie abgehängt zu haben. Um Atem ringend blieb sie stehen und hörte ringsum nichts außer dem prasselnden Regen. Dann vernahm sie in der Ferne Skips Bellen. Er war hinter ihr her.
Gerade war sie wieder losgelaufen, da schnappte er schon knurrend nach ihren Fersen. Sie drehte sich um und versuchte ihn zu beruhigen. »Ruhig, Skip! Los, zurück. Marsch, geh schon!« Aber da er sie nicht erkannte, bellte er nur um so heftiger. Sie wußte, wenn sie ihn nicht abschütteln konnte, hatte er in wenigen Sekunden die Polizisten auf sie aufmerksam gemacht. In einiger Entfernung sah sie schon die Lichtkegel ihrer Taschenlampen, die auf der Suche nach dem bellenden Hund in alle Richtungen leuchteten. Joanna versuchte ein paar Schritte zu laufen und drehte sich wieder um, um Skip fortzuscheuchen. Doch er machte nur noch mehr Lärm und ging mit gesträubten Nackenhaaren in Angriffsstellung.
Schließlich kam sie zu einem dichten Gebüsch aus großen, alten Lorbeersträuchern. Hier gab es einen geheimen Durchgang, der auf die andere Seite des Waldes führte, als Kind hatte sie ihn entdeckt. Wenn sie den wiederfand, konnte sie Skip vielleicht abhängen. Wie viele kleine Hunde war er nur so lange mutig, wie er sich auf seinem eigenen Territorium befand; wenn sie Glück hatte, würde er ihr nicht durch die Büsche folgen.
Sie zwängte sich durch das Dickicht, ihre Kleider und ihre Haare verfingen sich in den Zweigen, doch sie riß sich immer wieder los und kämpfte sich weiter, bis sie plötzlich eine kleine Lichtung erreicht hatte.
Auf einem weichen Teppich aus Moos und Laub rannte sie immer weiter, und das Gebell und die wütenden Stimmen der Polizisten verloren sich in der Ferne.
KAPITEL 51 Sam kam ins Labor und warf durch die offenstehenden Türen einen Blick in die beleuchteten Räume. Er hatte Angst vor dem, was er vorfinden würde, aber er war auf alles gefaßt. Alles, was er wußte, war, daß er auf unbekanntes Terrain geraten war, und seine Aufgabe als Wissenschaftler war es, dieses Terrain zu erforschen. Das sagte er sich nun schon mindestens zum hundertsten Mal an diesem Nachmittag. Er mußte es sich immer wieder vor Augen halten, wenn er nicht den Verstand verlieren wollte.
Peggy sah vom Computerbildschirm auf und lächelte ihm zur Begrüßung kurz zu, schenkte ihm aber weiter keine Beachtung, als er quer durch den Raum zur Kellertür ging. Er drückte die Klinke herunter. Die Tür war verschlossen, doch der Schlüssel steckte im Schloß und ließ sich leicht drehen. Sam öffnete die Tür, tastete nach dem Lichtschalter und ging die Treppen zu Adams Zimmer hinunter.
Obwohl er es beinahe erwartet hatte, traf ihn der Schock über das, was er unten vorfand, ausgesprochen hart. Der Keller war wieder dieselbe alte Müllhalde für ausrangierte Möbel und veraltetes Equipment wie vor Monaten, bevor sie mit dem Adam-Experiment angefangen hatten. Als wäre die dazwischenliegende Zeit und alles, was damit zu tun hatte, einfach ausgelöscht worden.
Doch er, Sam Towne, hatte überlebt. Und seine Erinnerung an das, was geschehen war. Wie konnte das sein? Und warum? Gab es einen Grund dafür, steckte ein Sinn dahinter? Oder war er inzwischen nur mehr Teil eines Prozesses, der noch nicht ganz abgeschlossen war, der sich aber in Kürze vollenden würde… und was mit ihm machte?
Daß es auf diese Fragen keine Antworten gab, war kein Grund, sie nicht zu stellen. Er erinnerte sich dunkel an ein Zitat, wonach der Mensch immer von der Annahme ausgehen müsse, auch das Unverständliche würde letztendlich begreifbar werden, sonst würde er alle Anstrengungen fahren lassen, das Universum und seinen Platz darin zu ergründen. Goethe vielleicht. War auch egal. Jedenfalls steckte darin eine schlichte Wahrheit, die für jeden Wissenschaftler galt und die sich in den letzten Stunden und Tagen brutaler als je zuvor in sein Bewußtsein gedrängt hatte.
»Suchst du etwas?«
Er machte einen Satz, als Peggys Stimme hinter ihm auf der Treppe ertönte.
»Nein, eigentlich nicht«, erwiderte er und drehte sich zu ihr um. »Ich denke nur nach.«
Dabei sah er sie weiter fest an und fragte dann:
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