Ex
hinauszuschieben, die zweifellos schmerzlicher und traumatischer als alle anderen werden würde. Sie drückte auf den Klingelknopf.
Ein entferntes Klingeln war zu hören, dann begann Skip zu bellen und rannte zur Tür. Wahrscheinlich hatte er vor dem Kaminfeuer oder in seinem Korb in der Küche gedöst. Joanna rief ihn beim Namen, aber das Bellen hinter der Tür hörte nicht auf und ging nicht in das aufgeregte Jaulen über, in das er immer verfiel, wenn er die Stimme eines Menschen erkannte. Als sie ihm noch einmal zurief, bellte er wieder, diesmal sogar noch heftiger.
Über ihr ging ein Licht an, dann hörte sie die Stimme ihrer Mutter aus dem Lautsprecher neben der Tür.
»Wer ist da?«
»Mama, ich bin’s.«
Es herrschte langes Schweigen, während Skip unablässig bellte und nun auch an der Tür kratzte, als wollte er hinaus, um sie anzugreifen. Sie hörte, wie ihre Mutter ihn rief, vielleicht sogar kam und ihn gewaltsam wegzerrte, denn das Gebell war jetzt weiter entfernt, wenngleich es noch genauso aufgeregt klang.
Mehrere Male klopfte sie an die Tür und rief: »Mama? Mama, bist du da?«
Da hörte sie wieder die Stimme ihrer Mutter aus der Sprechanlage, aber diesmal klang sie anders, ungehaltener, angespannter.
»Sind Sie diejenige, die heute angerufen hat?«
»Mama, um Himmels willen, ich bin’s. Laß mich rein, bitte.«
Aus dem Lautsprecher drang Skips Gebell, aber entfernter und irgendwie dumpf, als hätte man ihn eingesperrt.
»Warum tun Sie das?« fragte ihre Mutter. »Wenn Sie nicht sofort verschwinden, rufe ich die Polizei – haben Sie verstanden?«
»Mutter, ich flehe dich an, mach auf, sieh mich an, sag mir, daß ich Joanna bin – bitte.«
»Ich sehe Sie bereits an. Und ich weiß nicht, wer Sie sind.«
Abrupt drehte sich Joanna um. Sie hatte vergessen, daß ihre Eltern sich vor ungefähr einem Jahr eine Überwachungskamera hatten einbauen lassen, nachdem es in der Nachbarschaft mehrere Einbrüche gegeben hatte. Sie starrte in die ausdruckslose Linse hinauf.
»Mama, in Gottes Namen, ich bin’s. Sag doch nicht, daß du mich nicht kennst! Ich bitte dich, mach einfach nur die Tür auf und schau mich an – mehr verlange ich nicht. Mach auf und schau mich an!«
Die Sprechanlage blieb stumm. Joanna wartete auf Schritte im Flur, darauf, daß der Schlüssel im Schloß umgedreht und der Riegel zurückgeschoben wurde.
Aber sie wartete vergeblich. Sie versuchte sich in Geduld zu fassen, sie unterdrückte das Schluchzen, das in ihrer Kehle aufstieg, und wischte ärgerlich die Tränen fort, die ihren Blick verschleierten. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und klingelte noch einmal.
Als sie keine Antwort bekam, hämmerte sie mit den Fäusten gegen die Tür und rief nach ihrer Mutter. Und als weiterhin niemand reagierte, schlug sie noch fester zu. Die körperliche Anstrengung raubte ihr den letzten Rest ihrer Selbstherrschung, und die Panik, die sie bis jetzt mühsam hatte niederhalten können, brach sich Bahn. Sie grub die Fingernägel in die Tür, trat und schlug immer und immer wieder dagegen wie eine Verrückte, die aus ihrer verschlossenen Zelle ausbrechen will, oder wie jemand, der lebendig begraben wurde und sich verzweifelt zu befreien versucht.
Doch es kam keine Reaktion. Erschöpft und mit heiser gebrüllter Kehle hörte sie auf. In diesem Moment erinnerte sie sich an den Traum, den ihre Mutter ihr vor einigen Monaten erzählt hatte: daß sie, Joanna, draußen stand, gegen die Tür hämmerte und hereingelassen werden wollte, während ihre Mutter sich drinnen ängstlich verkroch. Es hatte sogar geregnet, in Strömen geregnet wie jetzt. Der Traum war Wirklichkeit geworden.
»Mama«, schrie sie, das Gesicht gegen das Holz gepreßt, und schlug mit den Fäusten in unerbittlichem Rhythmus darauf ein, als wollte sie ihren Worten Nachdruck verleihen. »Mama, weißt du nicht mehr? Das ist genau dein Traum. Erinnerst du dich an deinen Traum? Den Alptraum? Du hast gesagt, ich hätte draußen im Regen gestanden und du hättest aus Angst nicht aufgemacht. Du brauchst dich vor mir nicht zu fürchten, Mama. Ich bin’s. Mach die Tür auf, Mama. Bitte, bitte mach auf…«
Da wurde sie von einem Lichtkegel gestreift. Sie drehte sich um und schirmte die Augen ab, als sie einen Wagen mit hoher Geschwindigkeit die Auffahrt hinaufjagen sah. Der Kies knirschte laut, als das Auto anhielt. Türen schlugen. Die Töne eines Sprechfunkgeräts waren zu hören, und jetzt erkannte sie, daß die beiden
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