Ex
57 Es war kurz vor halb acht, als Sams Telefon am nächsten Morgen läutete. Er war schon bei seiner zweiten Tasse Kaffee, und als Ralph sich wegen des frühen Anrufs entschuldigen wollte, fiel er ihm gleich ins Wort.
»Was ist passiert?« Ihm war die Anspannung in der Stimme des anderen nicht entgangen.
»Diese Frau, die Sie gestern abend gesucht haben! Sie war hier, kurz nachdem Sie gegangen sind. Und sie hat anscheinend auch Joannas Eltern aufgesucht.«
»Aha…«
Ralph zögerte. »Vielleicht wäre es am besten, wenn wir uns persönlich unterhalten würden. Ich bin mit meiner Frau zwar noch in einem Hotel, aber ich könnte in zwanzig Minuten bei unserem Haus sein. Sollen wir uns dort treffen?«
Als Sam aus dem Taxi stieg, wartete Ralph Cazaubon auf der Treppe des Hauses mit der Nummer 139. Er wirkte müde und abgespannt, im krassen Gegensatz zu gestern, als Sam ein unbeschwerter, selbstbewußter Mann die Tür geöffnet hatte.
»Danke für Ihr Kommen, Dr. Towne.« Er zog einen Schlüsselbund aus der Tasche und lachte ein bißchen entschuldigend, als er die Tür aufschloß. »Ich habe mir einreden wollen, daß ich lieber draußen warte, damit Sie alles so vorfinden, wie wir es gestern nacht zurückgelassen haben. Aber in Wahrheit hatte ich einfach zuviel Angst, um allein hineinzugehen.«
»Das ginge jedem vernünftigen Menschen so.« Sam versuchte seine Ungeduld zu verbergen.
Offenbar blockierte irgend etwas die Tür, Ralph konnte sie nicht ganz aufmachen. Als Sam sich hinter ihm hineingequetscht hatte, sah er, daß der Kleiderständer umgeworfen dalag.
»Das war das erste, was passiert ist. Von dem Lärm sind wir aufgewacht.«
Obwohl ihn solche Einzelheiten nur am Rande interessierten, nickte Sam. »Erzählen Sie mir von der Frau«, forderte er Ralph dann auf. »Beschreiben Sie sie mir.«
Mit ernster Miene hörte er Ralphs Ausführungen an. Als dieser alles erzählt hatte, nickte er wieder. »Das ist sie. Hat Ihre Frau sie auch gesehen?«
Ralph schüttelte den Kopf. »Da noch nicht. Als sie ins Zimmer kam, war diese Frau nämlich verschwunden. Wir dachten, vielleicht hat sie sich aus dem Haus geschlichen. Doch als dann der Spuk losging…«
Dabei warf er Sam einen verlegenen Blick von der Seite zu, er konnte ihm nicht in die Augen sehen.
»Das war doch ein Geist, oder?«
»Wenn ich es mit Bestimmtheit wüßte, würde ich es Ihnen sagen. Aber ich weiß es nicht.«
Diesmal sah Ralph ihn direkt an, er schien Sam vom Gesicht ablesen zu wollen, ob er die Wahrheit sagte. Doch zu welchem Schluß er kam, behielt er für sich. »Kommen Sie mit«, meinte er statt dessen abrupt und ging in Richtung Salon. »Das müssen Sie selbst gesehen haben.«
Aber an der Tür blieb er wie angewurzelt stehen, murmelte einen Fluch und starrte entsetzt in den Raum.
Sam schaute ihm über die Schulter. Ihnen bot sich ein Bild der Verwüstung. Umgeworfene Sessel und andere Möbelstücke lagen kreuz und quer, Lampen waren herausgerissen und baumelten lose an ihren Kabeln, jedes Bild und sämtliche Gegenstände lagen kaputt oder in Scherben auf dem Boden. Selbst der Teppich war herausgerissen und zerstört, die Bodenplanken lagen bloß.
»So sah das nicht aus, als wir weggegangen sind«, sagte Ralph. »Da ging nur der große Spiegel über dem Kamin in Stücke. Wir haben beide gesehen, wie er sich von der Wand löste und quer durchs Zimmer flog.« Er zeigte auf eine Stelle. »Hier sieht man, wo er heruntergekracht ist. Aber der Rest…« Ungläubig und hilflos breitete er die Arme aus.
»Sie haben ›da noch nicht‹ gesagt, als ich Sie gefragt habe, ob Ihre Frau diese andere gesehen hat«, merkte Sam an. »Heißt das, sie hat sie später gesehen?«
»Na ja, sie hat jedenfalls etwas gesehen – eben in diesem Spiegel da. Als sie ins Zimmer gekommen ist, entdeckte sie schräg hinter mir das Spiegelbild einer Frau. Doch bis ich mich umgedreht hatte, war es schon zu spät, da flog der Spiegel schon durchs Zimmer.«
»Konnte sie die Frau beschreiben?«
Ralph nickte. »Es war dieselbe Frau.«
Dann wartete er auf eine Erklärung von Sam, doch der schien in Gedanken versunken.
»Oben sollten Sie sich auch noch etwas ansehen«, meinte Ralph schließlich.
Als sie die Treppe hinaufgingen, fuhr er fort: »Wir sind dann wieder ins Schlafzimmer gegangen, um ein paar Sachen zusammenzusuchen, bevor wir ins Hotel gingen. Da krachte es plötzlich im Musikzimmer. Ich bin runter und habe nachgesehen. Mein Schreibtisch war umgeworfen,
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