Ex
war nicht abgeschlossen, sondern sie wurde zugehalten von einer Gewalt, einer Macht, die sie nicht herauslassen wollte.
Mit flachen Händen schlug Joanna gegen die glatte Oberfläche und rief nach Ralph. Doch sie hörte ihn nicht antworten oder zu Hilfe eilen. Nach kurzem Warten schlug sie wieder gegen die Tür, diesmal mit der Faust, erst mit einer, dann mit beiden. Sie rief lauter, hämmerte gegen das Holz und schrie, bis sie heiser war und ihr die Hände weh taten.
Langsam, aber sicher, wie ein verzögerter Schock, kroch die Angst in ihr hoch. Und ihr wurde klar, daß sie vergeblich dagegen ankämpfte. Sie wußte, daß die Angst, so wie der Schmerz, am Ende immer stärker sein würde. Man mußte es zulassen, aber sich zugleich an etwas festhalten, bis es vorbei war – und wenn es nur die Vorstellung war, daß es irgendwann vorbei sein würde.
Aber was, wenn nicht? Wenn die Angst nicht vorüberging, sondern zu einem ewigen, qualvollen Dauerzustand wurde, aus dem es kein Entrinnen gab…?
Nein! Das war Panik, und die hielt nicht ewig an. Nur die erste Welle… ja, eine Welle, und eine Welle mußte zwangsläufig wieder abebben…
Aus der Wand kam ein Knall, als wäre ein kleiner Feuerwerkskörper darin explodiert. Erschrocken wirbelte sie herum und versuchte herauszufinden, woher das Geräusch kam. Doch da krachte es schon wieder – an einer anderen Stelle, aber immer noch irgendwo hinter den gefliesten und verspiegelten Wänden, im Mauerwerk selbst. So etwas hatte sie noch nie gehört, es klang heimtückisch, gefährlich und doch irgendwie verlockend. Es lag etwas Hypnotisches darin; nicht nur fiel es ihr mit jedem Mal schwerer, das Geräusch zu lokalisieren, sie war sich auch immer weniger sicher, ob sie sich das alles nicht nur einbildete.
Doch dann geschah etwas, von dem sie sicher wußte, daß es keine Sinnestäuschung war. Es begann mit einem anderen Geräusch, als würden Nägel über eine Schiefertafel oder über Glas kratzen, ein schrilles Quietschen, das einem die Haare sträubte und die Nerven bloßlegte.
Diesmal wußte Joanna, woher das Geräusch kam, es ließ sich jetzt eindeutiger bestimmen. Sie fühlte sich beinahe magnetisch hingezogen zu dem Spiegel, der über den beiden Waschbecken in die Wand eingelassen war. Deutlich sah sie darin ihr Spiegelbild und das Badezimmer mit der verschlossenen Tür hinter ihr.
Doch ihr Blick konzentrierte sich nicht auf das Spiegelbild, sondern auf das Glas selbst. Sie spürte, daß hier irgend etwas vor sich ging. Und in diesem Moment begannen Buchstaben zu erscheinen – krakelige, etwas schiefe Linien, die in die silbrige Fläche unter dem Glas geritzt wurden, als schriebe eine unsichtbare Hand durch die Mauer.
Als erstes erschien der Buchstabe ›H‹. Noch ehe er vollendet war, erschienen gleichzeitig andere, so als liefe die Schrift über eine unsichtbare Fläche zwischen Joanna und ihrem Spiegelbild.
Gleichermaßen fasziniert und entsetzt, beobachtete sie, wie die Botschaft sichtbar wurde. Zuerst verstand sie sie nicht. Einen Sekundenbruchteil lang glaubte sie, es handele sich um eine fremde Sprache. Doch dann erkannte sie, daß es ein Wort in Spiegelschrift war, als hätte es jemand auf der anderen Seite des Spiegels eingeritzt.
Das Wort lautete: HILFE!
Ihr wurde schwindlig, alles verschwamm, und sie hatte das Gefühl, in ihrem Kopf würde etwas explodieren. Sie hielt sich an etwas fest, schüttelte sich… alles in Ordnung, nicht loslassen, es geht vorbei.
Eine dicke Fußmatte auf dem gefliesten Boden bremste ihren Sturz. Sie spürte den Aufprall am Knie, dann am Ellbogen und am Arm. Benommen rappelte sie sich auf. Sie war unverletzt, doch nun wußte sie, daß sie dem, was hier geschah, nicht entkommen konnte, nicht einmal, wenn sie ohnmächtig wurde.
HILFE!
»Ralph! Ralph, hilf mir!«
Jetzt war sie wieder auf den Beinen, hämmerte gegen die Tür, rüttelte am Griff und zog daran. Und ganz unverhofft ging die Tür auf, beinahe wie von selbst, als wäre dazu überhaupt keine Gewalt nötig gewesen. Es war kein Klicken eines Schlosses oder Aufschnappen eines Riegels zu hören, die Tür gab einfach nach und ließ sie frei.
Ralph betrat gerade den Raum vom Flur her, als sie blaß und erschrocken aus dem Badezimmer taumelte. Sofort stürzte er auf sie zu.
»Jo, was ist los?«
»Hast du mich nicht rufen hören?«
»Ich habe gar nichts gehört. Ist alles in Ordnung?«
»Laß uns bloß von hier verschwinden – jetzt gleich, bitte.«
KAPITEL
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