Ex
öffnete sich die Tür, und Joanna kam herein. Sie trug Jeans und einen Rollkragenpullover, das Haar hatte sie hinten zusammengebunden. Sie wirkte bedrückt und seltsam verletzlich.
»Danke, daß Sie gekommen sind, Dr. Towne. Sagen Sie mir bitte, was los ist.«
Doch noch bevor Sam etwas erwidern konnte, merkte sie, wie ihre Mutter das Taschentuch, mit dem sie ihre Tränen abgewischt hatte, unauffällig verschwinden lassen wollte.
»Mama, bitte wein doch nicht!«
»Schon gut… es ist nur, weil alles so… na ja, so merkwürdig und deprimierend ist.«
Joanna ging zu ihr und nahm sie in den Arm.
»Mach dir keine Sorgen… ich bin sicher, daß sich jetzt, wo Dr. Towne hier ist, alles aufklären wird.«
Auch Ralph kam jetzt wieder und blieb neben der Schlafzimmertür stehen. Joanna wandte sich an Sam.
»Ralph sagt, Sie wollen ein paar Tage in unserem Haus bleiben?«
»Ja, das würde ich gerne.«
Sie sah ihn an. In ihrer alltäglichen Kleidung, mit den großen fragenden Augen und ohne Make-up wirkte sie fast mehr wie ein stiller, ernsthafter Teenager als wie eine erwachsene Frau.
»Wer ist sie?«
Sam war sich bewußt, daß Ralph ihn beobachtete, aber er ließ den Blick nicht von Joanna. »Das kann ich nicht sagen.«
»Können oder wollen Sie es nicht sagen? Oder wissen Sie es nicht?«
»Ich… weiß es nicht.«
Joanna sah ihn durchdringend an, sie wollte ergründen, ob er sie anlog oder die Wahrheit sagte.
»Warum hat sie ›Hilfe!‹ geschrieben?«
»Das weiß ich nicht… noch nicht. Aber vielleicht finde ich es heraus.«
»Wir müssen versuchen, ihr zu helfen, egal wer sie ist.«
»Das werden wir.«
Alle anderen im Raum schwiegen und bewegten sich nicht. Jeder spürte, daß das eine Angelegenheit allein zwischen den beiden war.
»Halten Sie mich für sehr feige, weil ich nicht zurückwill?« fragte sie mit der Ernsthaftigkeit eines Kindes und wartete auf seine Antwort.
»Nein. Ich halte es für besser, wenn Sie nicht zurückgehen. Das wäre, glaube ich, ein Fehler.«
»Warum?«
Seine Kopfbewegung schien zu sagen, daß die Antwort doch auf der Hand lag.
»Ralph hat mir gesagt, daß Sie schwanger sind. Da sollten Sie wirklich vorsichtig sein.«
»Meinen Sie denn, daß Gefahr besteht?«
»Das weiß ich nicht. Aber manchmal ist es vernünftiger, es nicht darauf ankommen zu lassen.«
Noch immer wandte sie den Blick nicht von ihm ab. Sie legte den Kopf ein bißchen schief, als wollte sie seine Gedanken lesen.
»Gibt es da etwas, was Sie mir verschweigen, Dr. Towne?«
Doch Sam schüttelte nur den Kopf und lächelte sie sanft an. »Nein, das verspreche ich Ihnen.«
Das war eine glatte Lüge, doch sie ging ihm leicht über die Lippen. Sie hatte eine Art, die ihn bezauberte, eine unschuldige Natürlichkeit, wie man sie viel zu selten antraf.
»Sie haben eine sehr lebhafte Phantasie. Ein weiterer guter Grund, sich von solchen Phänomenen fernzuhalten.«
Dann sah er zu Ralph.
»Lassen Sie sie nicht zurückgehen, Ralph. Noch nicht.«
»Keine Angst, ganz bestimmt nicht.«
»Na, aber ich werde mir diese Sache auf jeden Fall aus der Nähe anschauen«, schnaubte Bob Cross jetzt ungeduldig.
Das mußte er unbedingt verhindern, schoß es Sam sofort durch den Kopf. Obwohl er keine Ahnung hatte, warum. Und schon gar nicht, wie.
»Entschuldigung, daß ich mich da einmische, Mr. Cross«, versuchte er es so respektvoll wie möglich. »Aber das halte ich für keine gute Idee.«
»Warum nicht?« Der Blick, mit dem Bob Cross ihn bedachte, ließ erkennen, daß er stichhaltige Gründe für einen solchen Einwand erwartete.
»Ich sage das mehr aus einem Gefühl heraus.« Sam hoffte, man würde ihn nicht zwingen, näher ins Detail zu gehen. »Weil das, was hier geschieht, irgendwie eine Familienangelegenheit ist – und zwar eine, die Ihre Familie betrifft. Deshalb finde ich, daß sie lieber zusammenbleiben und sich gegenseitig trösten und stützen sollten, anstatt sich unnötig irgendwelchen Einflüssen auszusetzen, die wir noch nicht verstehen können.«
Das schien Bob Cross nicht zu überzeugen. »Ich will den verdammten Spiegel mit eigenen Augen sehen – den mit dem Gekritzel auf der Rückseite.«
»Sie werden ihn sehen. Aber bitte geben Sie mir ein, zwei Tage Zeit, ja?«
»Okay, Sie sind der Experte. Wir sollten wohl besser auf Sie hören«, gab der alte Mann schließlich widerwillig nach.
Sam war ungeheuer erleichtert. »Übrigens«, wechselte er das Thema, »habe ich Ihr Buch gelesen, Mrs. Cazaubon.
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