Ex
Untertasse gesehen, aber das hier ist ja ein ganz anderes Kaliber.«
»Bob, hör doch bitte auf mit dieser UFO-Geschichte, das kann man wirklich nicht vergleichen.« Es war herauszuhören, daß Elizabeth Cross ihn an diesem Vormittag schon mehrmals deswegen zurechtgewiesen hatte. »Deine fliegende Untertasse hat außer dir niemand gesehen, aber wir haben beide diese Frau gesehen. Und Ralph und Dr. Towne ebenfalls – auch Joanna hat sie im Spiegel gesehen.«
Sie wandte sich an Sam. »Was geht Ihrer Meinung nach hier vor, Dr. Towne? Können Sie uns irgend etwas darüber sagen?«
Ihr Blick und ihr Ton drückten jenes rührende Vertrauen aus, das Laien einem sogenannten ›Fachmann‹ entgegenbringen, von dem sie die Lösung eines brennenden Problems erwarten.
»Wissen Sie, was man unter einem Poltergeist-Phänomen versteht, Mrs. Cross?« fragte Sam. Während der Hinfahrt hatten er und Ralph sich auf diesen Erklärungsversuch geeinigt.
»Na sicher, ich habe darüber gelesen und Filme gesehen. Und um so etwas handelt es sich hier?«
»Ich nehme es an.«
Das war eine vorsätzliche Lüge, und er schämte sich dafür, doch unter diesen Umständen blieb ihm keine andere Wahl. Erstens würde er Joanna und ihre Eltern mit der ganzen Geschichte nur unnötig belasten, und zweitens würde er das Haus nur dann wieder betreten dürfen, wenn er das Versprechen hielt, das er Ralph gegeben hatte.
»Ich dachte, Poltergeist-Phänomene gäbe es nur bei pubertären Jugendlichen«, warf Bob Cross skeptisch ein. »Unterdrückte Sexualität, emotionale Verwirrungen und so. Ist das nicht so?«
»Doch«, bestätigte Sam. »Aber nicht immer.«
Es lag ihm auf der Zunge, daß es keine Gesetzmäßigkeiten gab, daß die Wahrheit keinen Sinn ergab und nur noch Lügen plausibel erschienen. Aber es war schon schlimm genug, daß ihn diese Gedanken plagten, er durfte sie in seiner Verzweiflung nicht auch noch anderen aufbürden.
Schlagartig wurde ihm klar, daß ›Verzweiflung‹ seinen Gefühlszustand am besten umschrieb. Bis zu diesem Augenblick hatte er das verdrängt, er hatte nach außen den Schein der Normalität aufrechterhalten und sich innerlich an dem immer fragwürdigeren Gedanken festgeklammert, daß er durch rationales Herangehen selbst in einer verrückten Welt dem Wahnsinn die Stirn bieten konnte. Aber das stimmte nicht. Je klarer er die Dinge sah, desto schneller bewegte er sich sogar auf den Wahnsinn zu. Und auf einmal durchdrang ihn wie ein Donnerschlag die Erkenntnis, daß es schon jetzt kein Zurück mehr für ihn gab. Trotzdem redete er ruhig weiter, im gewohnten sachkundigen Ton eines Fachmanns.
»Das Poltergeist-Phänomen – also Dinge, die durchs Zimmer fliegen – ist eine von vielen psychokinetischen Erscheinungen. Der Geist siegt über die Materie, er wirkt in oder durch Materie.«
»Aber diese geistige Kraft geht doch immer von jemandem aus, oder?« entgegnete Bob Cross. »Jemand sendet doch diese Gedankenwellen oder was auch immer aus, jemand ist der Verursacher, oder nicht?«
»Das ist richtig«, räumte Sam ein. »Definitionsgemäß muß es jemanden geben, dessen geistige Kraft auf die Materie wirkt.«
»Aber wer ist das? Jemand von uns? Diese Frau, die wir gestern abend gesehen haben?«
»Nach dem, was ich gehört habe, würde ich sie eher als Teil der Wirkung denn als Teil der Ursache bezeichnen.«
»Das begreife ich nicht«, wandte Bob Cross ein. »Ich dachte, Poltergeist-Phänomene wären Sachen, die durchs Zimmer fliegen, und nicht Personen, die an deine Tür hämmern, mit dir reden und dann verschwinden.«
»Diese Frau war ein Geist, ein Gespenst, nicht wahr, Dr. Towne?« Elizabeth Cross schien damit einen Gedanken auszusprechen, der sie schon lange gequält hatte.
»Nach einer weitverbreiteten Auffassung«, antwortete Sam, »sind Geister oder Gespenster in Wirklichkeit psychokinetische Erscheinungen – Projektionen unseres Bewußtseins.«
Die Erinnerung an das Gespräch, das er und Joanna bei ihrem ersten gemeinsamen Mittagessen vor vielen Monaten geführt hatten, drohte ihn beinahe zu überwältigen. Doch er verbarg seine Gefühle hinter einem weiteren Wortschwall, hinter Standarderklärungen und zuversichtlich klingenden Halbwahrheiten.
»Weil wir unser Bewußtsein als etwas so Selbstverständliches betrachten, vergessen wir oft, daß das, was wir sehen, nicht objektiv existiert. Die Farben um uns herum existieren nicht an sich. Sie sind Reaktionen von Auge und Gehirn auf bestimmte
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