EXCESS - Verschwörung zur Weltregierung
verzog auch keine Miene, als bei seiner Ankunft gepfiffen wurde. Nach letzten Umfragen wollten zwölf Prozent der Texaner für die TFP stimmen. Die Mehrheit von 88 Prozent hielt nichts von der Sezessionsidee oder zumindest nichts von Osman. Noch nicht. Allerdings waren Osmans Leute klug genug gewesen, ihn zu einem Zeitpunkt auf seinen Sitz zu platzieren, als die Live-Übertragung noch nicht angefangen hatte und die Zuschauerränge noch weitgehend leer gewesen waren. So hielt sich das Gepfeife in Grenzen.
Die Medienleute der TFP fanden trotz der protokollarischen Vereinbarung einen Weg, Osman eine Rede halten zu lassen. In Form ganzseitiger Inserate in der texanischen Sonntagspresse. In diesen beschuldigte er Washington und die Zentralregierung – ein wichtiger Begriff in der Kampagne der TFP –, fahrlässig oder vielleicht sogar vorsätzlich den Tod seiner texanischen Mitbürger verursacht zu haben. Außerdem hatte man in den letzten Tagen einen politischen Werbespot zusammengebastelt, der auf einigen texanischen Sendern vor und nach der Übertragung des Traueraktes gesendet wurde. Darin sah man einen weichgezeichneten Osman mit feuchten Augen in die Ferne blicken und sich mit einem gefalteten Stofftaschentuch einige Tränen von den Wangen tupfen. Filmtränen. Dazu der von einer samtenen Stimme aus dem Off gesprochene Text: »Zuerst blickte Vince Osman auf Sandrock, Texas. Seine Welt zerbrach, als er die unschuldigen Opfer auf den Strassen liegen sah. Dann blickte Vince Osman in sein Herz und erkannte, dass es Zeit war, zu handeln. Jetzt blickt Vince Osman mit festem Blick in die Ferne und sieht die einzige Zukunft, die Texas haben kann. Eine Zukunft der Freiheit und Unabhängigkeit.« Der Spot war, wie die ganze Kampagne, auf einer emotionalen Ebene gehalten.
Um die große hispanische Gemeinde in Texas zu erreichen, wurde die Kampagne zweisprachig geführt. Dazu wurden Osmans rudimentäre Spanischkenntnisse von einem Sprachcoach auf Vordermann gebracht. Von der hispanischen Unterstützung am Wahltag versprach sich die TFP sehr viel. In spätestens zehn, fünfzehn Jahren würden die mexikanischen Einwanderer die Mehrheit der texanischen Bevölkerung stellen. Die TFP rekrutierte deshalb von ihrem Hauptquartier in Houston aus laufend hispanische Wahlkampfhelfer, die ihren Leuten in Aussicht stellen sollten, dass eine Republik Texas in nicht allzu ferner Zukunft sogar einen mexikanischstämmigen Präsidenten haben könnte. Kein ungeschickter Schachzug. Keiner der Kandidaten für das Gouverneursamt konnte auf die hispanischen Wähler verzichten. Deshalb würde es Osmans Gegnern auch nicht möglich sein, ein hispanisches Texas als Schreckensvision darzustellen – man würde zu viele eigene Wähler vergraulen.
Ebenfalls bei der Trauerfeier anwesend war, allerdings als Privatperson, der Schweizer Bundespräsident Giovanni Mattei. Adams und er hatten sich zu einem kurzen informellen Treffen im Anschluss an die Veranstaltung am Flughafen Austin-Bergstrom verabredet. Dort teilte Mattei der Präsidentin die Details zu Islers Operation Magnoliophyta mit. Adams erklärte sich mit dem Plan sofort einverstanden und sagte zu, das ihrige beizutragen. Damit war die Gegenverschwörung geboren. Isler. Mattei. Adams.
Tim Lewis hatte seinen auf Hawaii lebenden Eltern und seinen engsten Freuden brieflich mitgeteilt, dass er noch lebte. Allerdings sollten sie das für sich behalten und keinen Kontakt mit ihm aufnehmen, er fühle sich bedroht. Er hoffte, dass die jungen Leute, die er im Canyon getroffen hatte, wie vereinbart dichthalten würden. Woran er stark zweifelte. Sie hatten ihm am Dienstag ein Taxi bestellt, das ihn zu Josephina nach Amarillo gebracht hatte.
Tim hatte Angst. Washington, das offensichtlich vor nichts zurückschreckte, würde vielleicht einen Killer auf ihn ansetzen. Schließlich wusste er, was vor dem Gaseinsatz in Sandrock passiert war – die Öffentlichkeit hatte davon keine Ahnung. Allerdings konnte er sich die Situation nicht erklären. Wenn es nur um einen Versuch mit chemischen Kampfstoffen gegangen war – oder war es doch nur ein Unfall? –, wieso dann die gefälschten Nachrichten? Seit seiner Ankunft bei Josephina hatte er keinen Fuß mehr vor die Tür gesetzt. Wenn es läutete, versteckte er sich unter dem Bett. Nur Josephinas Freundin Mable wusste, dass er bei ihr war.
Der Tod seiner Freunde und Bekannten in Sandrock belastete ihn schwer. Aber er war glücklich, wieder
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