Exil im Kosmos: Roman (German Edition)
gestanden, war in der Glut lebloser Wüsten geröstet worden, war mit nomadischen Siedlern und ihrem Gliederfüßervieh über purpurne Ebenen gezogen. Er hatte die neunzig Kilometer hohen Klippen von Damballa gesehen, und er war unter einem Himmel mit drei Sonnen gegangen. Es war genug, um in müßigen Stunden seine Gedanken zu beschäftigen.
Nun saß er im Herz seines Labyrinths, beobachtete die Bildschirme und wartete auf den Fremden, mit einer Waffe in der Hand.
Kapitel 27
Der Nachmittag verging rasch. Rawlins begann zu überlegen, dass er gut daran getan hätte, auf Boardman zu hören und eine Nacht im Lager in Zone E zu verbringen, bevor er sich auf die Suche nach Müller machte. Nun, er hatte freiwillig darauf verzichtet, und jetzt gab es kein Zurück mehr. Seine Sensoren sagten ihm, dass Müller in der Nähe sei.
Moralische Probleme beunruhigten ihn von neuem.
Er hatte nie etwas Bedeutendes getan. Er hatte studiert, er hatte so etwas wie eine Lehrzeit im diplomatischen Dienst abgeleistet, er hatte als Referent in verschiedenen Abteilungen gearbeitet, er hatte dann und wann einen kleineren selbständigen Auftrag ausgeführt. Aber er hatte das alles als notwendige Vorstufe seiner eigentlichen Karriere angesehen. Das Gefühl, eine Zukunft zu haben, war nach wie vor stark in ihm, und er wusste, dass dies hier die Bewährungsprobe war. Die allernächste Zeit würde darüber entscheiden, in welche Richtung die Menschheitsgeschichte sich entwickeln würde – jedenfalls war Charles Boardman davon überzeugt –, sie würde aber auch seine persönliche Zukunft bestimmen.
Der Massedetektor verstärkte sein Summen. Rawlins blickte umher. Aus den Schatten eines Arkadengangs trat die Gestalt eines Mannes. Müller.
Sie standen einander auf zwanzig Schritt Distanz gegenüber. Rawlins' Erinnerung an Müller war ziemlich nebelhaft, aber er hatte sich den Mann irgendwie größer und massiver vorgestellt. Nun sah er, dass sie ungefähr gleich groß waren. Die tiefstehende Sonne ließ die Falten und knochigen Kanten in Müllers Gesicht überdeutlich heraustreten. Er trug einen dunklen, einteiligen Anzug, fleckig und fadenscheinig und an Hosenbeinen und Ärmeln ausgefranst.
In Müllers rechter Hand lag das apfelgroße Ding, mit dem er die Sonde zerstört hatte.
Boardmans erregte Stimme wisperte in seinem Ohr. »Näher herangehen, Ned. Lächeln. Machen Sie ein scheues und freundliches Gesicht. Und halten Sie Ihre Hände so, dass er sie immer sehen kann.«
Rawlins gehorchte. Er fragte sich, wann er spüren würde, was Müllers Nähe anderen so unerträglich gemacht hatte. Es fiel ihm nicht leicht, seine Augen von der glänzenden schwarzen Kugel abzuwenden, die wie eine Granate in Müllers Hand lag. Als er die Distanz halbiert hatte, fühlte er die Ausstrahlung des anderen. Ja. Das musste es sein. Er fand, dass sie zu ertragen wäre, wenn er nicht näher heranginge.
Müller sagte: »Was machen Sie …?«
Die Worte kamen als raues Krächzen heraus. Müller brach ab und errötete. Offenbar versuchte er seine Stimmbänder unter Kontrolle zu bringen. Rawlins nagte an seiner Unterlippe; er fühlte sein rechtes Augenlid zucken. Schnaufendes Atmen kam aus der Hörfunkleitung von Boardman.
Müller fing wieder an: »Was wollen Sie von mir?« Diesmal klang seine Stimme natürlich.
»Nichts – ich meine, nur reden«, sagte Rawlins. »Ich möchte Ihnen keinerlei Schwierigkeiten machen, Mister Müller.«
»Sie kennen mich?!«
»Gewiss. Jeder kennt Richard Müller. Ich meine, jedes Schulkind weiß, dass Sie der Held sind, der …«
»Verschwinden Sie!«
»Und Stephen Rawlins war mein Vater. Als ich ein junger Bursche war, haben Sie mir schon die Hand gedrückt, Mister Müller.«
Der dunkle Apfel hatte sich gehoben. Das kleine viereckige Fenster sah ihn an. Rawlins erinnerte sich nur zu gut, wie die Übertragung von der Sonde plötzlich aufgehört hatte. Er lächelte unsicher. Seine Handflächen waren feucht.
»Stephen Rawlins?« Der Apfel sank.
»Ja. Er war mein Vater.« Rawlins' Beine schienen sich in Wasser zu verwandeln. Schweiß rann von seiner Stirn. Er empfing Müllers Ausstrahlung stärker, als ob es einige Minuten gedauert habe, bis sie seine Wellenlänge fand. Nun fühlte er Wellen von Angst und Traurigkeit über sich hingehen, das Ahnen klaffender Abgründe hinter ruhigen Wiesen. »Ich kenne Sie seit meiner Kindheit«, sagte er. »Einmal kamen Sie nach irgendeiner Reise zu uns, ganz braun und gebeizt von Sonne
Weitere Kostenlose Bücher