Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
bequeme Möbel. Klaus wirkte neben ihm ein bißchen klobig; auch hatte er sein klebriges Gläschen statt auf das Tablett auf das edle Holz des runden Tisches gestellt. Nein, er paßte nicht recht in Raouls Behausung. Trotzdem freute sich Raoul, ihn bei sich zu haben. Was gab es da wieder Interessantes? Sollte es dieser Klaus wirklich fertiggekriegt haben, sich seinen Vater gefügig zu machen, diesen alten Federsen, der dastand wie ein Berg? Ob Klaus nicht aufschnitt? Nein, er hockte da, selbstzufrieden, schlau, brutal; zuzutrauen war es ihm schon. Aber wie hat er das nur angestellt? Das muß Raoul herauskriegen; solche Methoden zu erlernen, das ist interessant. »Du hast also deinen Alten kleingekriegt?« fragte er anerkennend. Wenn man weiß, wie Herr Federsen senior ausschaut, dann ist das allerhand.
Doch auf diesem Ohr blieb Klaus taub. Zwar gefiel ihm der schlanke, feine Junge, der ihn so ehrenvoll eingeladen und bewirtethatte, aber er gehörte zum Erbfeind, er roch nach Intellektualismus. Auch hatte ihn Raouls Bekanntschaft mit Wiesener mißtrauisch gemacht. Es war bestimmt klüger, wenn er, Klaus, da er wohl ein bißchen zuviel getrunken hatte, sich jetzt in acht nahm. Er blieb also auf der Hut, sperrte sich zu und ließ, bei aller lärmenden deutschen und französischen Vertraulichkeit, über die Beziehungen zu seinem Alten nichts weiter verlauten.
Wenn sich indes Raoul einmal eine Sache in den Kopf gesetzt hatte, dann ließ er nicht so bald locker. Er mußte herausbekommen, wie dieser Klaus es angestellt hatte, seinen brutalen Vater zahm zu kriegen. Mit List schlich er sich an. Vernachlässigte Klaus eine Zeitlang, um ihn dann um so mehr zu verhätscheln. Verhöhnte ihn, um dann seiner Selbstgefälligkeit, seinem Patriotismus um so mehr zu schmeicheln. Gab sich schließlich vor ihm als ein Gleicher vor einem Gleichen.
Eines Abends gar, das war ein besonderer Vertrauenbeweis, lud er ihn ein, mit ihm Madame Yvonnes Etablissement zu besuchen, ein kleines, gepflegtes Bordell. Von Anfang an imponierte er dort dem scheuen, täppischen und gierigen Klaus durch seine Lässigkeit und herrenhaftes Kennertum, und als es ans Zahlen ging und Raoul, wie Klaus seinen Part beisteuern wollte, ihm das großzügig und beiläufig verwehrte, verstärkte das in dem andern das Gefühl der Inferiorität, der Schuld und Dankbarkeit. Froh, daß Raoul ihn noch länger in seiner Gesellschaft duldete, begleitete er ihn in ein Café am Boulevard des Capucines. Trotz des frischen Aprilabends setzte man sich an ein Tischchen im Freien, in der Nähe eines der kleinen Öfen. »Weißt du, mein Alter«, meinte Raoul mit jener Blasiertheit, über die sich Klaus immer von neuem ärgerte und die zu bewundern er dennoch nicht unterlassen konnte, »weißt du, das Beste an der ganzen Sache ist doch die Zigarette hinterher.« Das war zwar nicht seine wahre Meinung, aber er sah befriedigt, daß der Satz auf den andern Eindruck machte.
Ja, es war dieser Satz, und das war mehr, als Raoul gehofft hatte, der Klaus dazu brachte, ihm sein Geheimnis zu enthüllen. Denn Klaus war aufgelockert, er bewunderte Raoul, und gerade dieser letzte Satz von der Zigarette steigerte das Gefühl der eigenen Kleinheit und Unerfahrenheit so, daß er, schon um seine Selbstachtung wieder aufzurichten, es für notwendig hielt, auch seinesteils etwas vorzuweisen, womit man Staat machen konnte. Er erzählte die Geschichte, wie er seinen Alten untergekriegt hatte.
Es war dies folgendermaßen zugegangen. Herr Federsen senior, als Direktor der Mitropa-Bank, bekam von den Angelegenheiten der Nazi mancherlei zu sehen und zu hören, was sich nicht zu weiterer Verbreitung eignete. Er redete aber gern und viel, er machte aus seinem Herzen keine Mördergrube, und im Familienkreis ließ er sich vollends gehen. Seine Erzählungen würzte er mit kräftigem Kommentar. Nun hat sich zwar Herr Federsen senior mit gutem Instinkt rechtzeitig zu den neuen Herren geschlagen, aber im Mark ist er ein Mann aus der vorigen Generation, ein richtiger Deutschnationaler, obendrein verdorben durch den Verkehr mit Börsen- und Bankjuden. Infolgedessen ist sein Kommentar manchmal schief und ungehörig, auch seine Handlungen sind nicht immer ganz eindeutig, und kurz und gut, wenn gewisse Naziführer wüßten, was er, Klaus, weiß, so wäre das Papa Federsen kaum sehr angenehm. Nun ist aber er, Klaus, Angehöriger der Hitlerjugend und hat als solcher die Verpflichtung, wenn ihm Staatsfeindliches zu Ohren
Weitere Kostenlose Bücher